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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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geantwortet?«
    »Nein. Er will nur Bettgeschichten hören, das war es, was er mich in Wirklichkeit fragte.«
    »Und du hast ihm nicht geantwortet.«
    »Nein.«
    Luisa brach in Lachen aus, plötzlich hatte sie ihre gute Laune wiedergefunden.
    »Aber das ist ja eine Unterhaltung von Kindern«, sagte sie lachend.
    Ich glaube, ich wurde ein wenig rot, in Wirklichkeit wurde ich rot Custardoys wegen, nicht um meinetwillen, sie kannten sich damals kaum, und deshalb fühlte ich mich vor ihr verantwortlich für Custardoy, der von meiner Seite kam, ein alter Freund, was nicht ganz stimmt, man fühlt sich verantwortlich für das, was einen Scham empfinden lässt, und alles kann Anlass zu Scham sein vor der Person, die man liebt (zu Beginn der Liebe), auch deshalb verrät man jeden anderen, aber vor allem verrät man seine eigene Vergangenheit, die man verabscheut und von der man sich lossagt (in ihr war sie nicht da, die uns rettet und uns besser macht, die uns erhöht, oder zumindest glauben wir das, solange wir sie lieben).
    »Deshalb wollte ich nicht darauf eingehen.«
    »Wie schade«, sagte sie. »Jetzt könntest du mir erzählen, was du ihm gesagt hast.«
    Jetzt war ich es, der keine Lust hatte, zu lachen, Unzeit ist oft eine Frage von Sekunden. Aber das Lachen pflegt zu warten.
    Mir war unbehaglich zumute. Ich hatte mich geschämt. Ich schwieg. Warum erzählen. Dann sagte ich:
    »Du glaubst also nicht, dass Guillermo jemals seine kranke Frau umbringen wird?« Ich kehrte nach Havanna zurück und zu dem, was sie hatte Ernst werden lassen. Ich wollte, dass sie wieder Ernst würde.
    »Von wegen umbringen, von wegen umbringen«, antwortete sie sehr sicher. »Niemand bringt jemanden um, weil ihn jemand darum bittet, der fortgehen kann. Oder er hätte es schon getan, schwierige Dinge scheinen möglich, wenn man sie kurz überlegt, aber sie werden unmöglich, wenn man sie zu lange überlegt. Weißt du, was passieren wird? Der Mann wird irgendwann einmal nicht mehr nach Kuba fahren, sie werden sich vergessen, er wird sein ganzes Leben lang mit seiner Frau verheiratet bleiben, ob sie krank ist oder nicht, und wenn sie es ist, wird er alles nur Mögliche tun, damit sie geheilt wird. Sie ist seine Sicherheit. Er wird weiterhin Geliebte haben, möglichst welche, die ihm nicht auf die Nerven gehen. Zum Beispiel Frauen, die auch verheiratet sind.«
    »Das würde dir gefallen?«
    »Nein, das wird passieren.«
    »Und sie?«
    »Sie ist weniger vorhersehbar. Sie kann bald einen anderen Mann finden, und was sie mit ihm erlebt, wird ihr wenig oder nichts erscheinen. Sie kann sich auch umbringen, wie sie angekündigt hat, wenn sie sieht, dass er wirklich nicht mehr kommt. Sie kann auch warten und sich dann erinnern. Aber geliefert ist sie in jedem Fall. Die Dinge werden nie so ausgehen, wie sie will.«
    »Man sagt, wer es ankündigt, bringt sich nicht um.«
    »Was für ein Unsinn. Alles ist möglich.«
    Ich nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand. Ich legte das Buch auf den Nachttisch, das ich die ganze Zeit in den meinen gehalten hatte, ohne eine Zeile zu lesen. Es war
Pnin
von Nabokov. Ich habe es nicht zu Ende gelesen, und dabei gefiel es mir sehr.
    »Und was ist mit meinem Vater und mit meiner Tante? Jetzt stellt sich raus, dass sie sich umgebracht hat, Custardoy zufolge.«
    »Wenn du wissen willst, ob sie es ihm angekündigt hat, wirst du ihn fragen müssen. Du willst nicht, dass ich ihn frage, nicht?«
    Ich zögerte ein wenig mit der Antwort.
    »Nein.« Ich dachte nach, und dann sagte ich: »Ich glaube nicht. Ich muss länger darüber nachdenken.«
    Ich schaltete den Ton zu der filmischen Anthologie von Jerry Lewis ein. Luisa machte auf ihrer Seite das Licht aus und drehte sich um, als wollte sie schlafen.
    »Ich mache gleich aus«, sagte ich.
    »Das Licht stört mich nicht. Wenn du bitte den Ton des Fernsehers abdrehen könntest.«
    Jerry Lewis befand sich jetzt auf dem Rang eines Kinos mit einer Tüte Popcorn in der Hand, vor Beginn der Vorstellung. Als er applaudierte, fiel das ganze Popcorn auf den Kopf einer würdigen weißhaarigen Dame, die vor ihm saß. ›Oh‹, sagte er, ›Ihnen ist Popcorn aufs Haar gefallen, kommen Sie, ich mach es Ihnen weg‹, und in fünfzehn Sekunden zerstörte er der Dame vollständig die Hochfrisur. ›Oh, halten Sie doch einen Augenblick still‹, sagte er und zerwühlte und befummelte währenddessen ihr Haar, das sich in das einer Mänade verwandelt hatte. ›Was für Haar‹, sagte er vorwurfsvoll

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