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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Kummer später teilte sie weniger), aber in diesem Fall wollte sie auch erfahren, ob ich das Gleiche in dem Brief sah wie sie.
    »Mal sehen, was du dazu meinst«, sagte sie, als sie ihn mir reichte.
    Der Brief war in Englisch und mit der Maschine geschrieben und sagte nicht viel, der Ton war ungezwungen, aber höflich, sogar ein wenig nüchtern für diese Art von Korrespondenz. Das Individuum hatte Bertas Anzeige in der Sparte der
personals
einer Monatszeitschrift gesehen und zeigte sich interessiert an einem Kontakt. Er erwähnte, dass er zwei Monate in der Stadt sein würde (was, so wusste er, verlockend, aber auch abschreckend sein konnte), und fügte hinzu, dass er gleichwohl relativ häufig nach Manhattan käme, mehrmals im Jahr (was vielversprechend und bequem sei, so sagte er, denn es garantiere, dass er keine Last sein würde). Als sei er es nicht gewöhnt, derartige Briefe zu schreiben, und wisse nicht, dass es normal ist, am Anfang ein Pseudonym oder einen Beinamen oder die Initialen zu benutzen, entschuldigte er sich dafür, dass er nur mit ›Nick‹ unterschrieb (die Unterschrift mit der Hand), und begründete es damit, dass er, da er »in einer sehr sichtbaren oder exponierten Arena oder Zone« arbeite (
»as I work in a very visible arena«
, waren seine genauen Worte), vorläufig sehr diskret sein müsse, wenn nicht reserviert, wenn nicht geheimnisvoll. So sagte er, »wenn nicht reserviert, wenn nicht geheimnisvoll«.
    Nachdem ich den Brief gelesen hatte, sagte ich zu Berta, was Berta erwartete:
    »Diesen Brief hat ein Spanier geschrieben.«
    Das Englisch war ziemlich korrekt, aber mit einigen Ungenauigkeiten, einem eindeutigen Fehler und verschiedenen Wendungen, die nicht nur wenig englisch waren, sondern eine zu wörtliche Übersetzung aus dem Spanischen zu sein schienen: Sowohl Berta als auch ich als auch Luisa sind sehr daran gewöhnt, bei unseren Landsleuten diese durchscheinenden Spuren auszumachen, wenn sie Fremdsprachen sprechen oder schreiben. Wenn der Mann Spanier war, erschien es jedoch affektiert oder absurd, dass er sich in Englisch an Berta wandte, denn die Anzeige, die sie jeden Monat in dieser Zeitschrift aufgab und bezahlte, verkündete als Allererstes ihre Herkunft:
›Young woman from Spain …‹
, so begann sie, obwohl sie sich dann im Augenblick der Verabredungen ein wenig schämte, weil sie sich noch immer als ›young‹ präsentiert hatte: Wenn sie ausging, fand sie sich abstoßend und sah all ihre Falten, sogar nach dem Kollagen, sogar die nicht existenten. Was sie an ›Nicks‹ Brief vor allem neugierig machte, war die »sehr sichtbare Arena«. Tatsächlich hatte ich sie seit Beginn ihres Umgangs mit Unbekannten oder der Präliminarien dazu noch nie so aufgeregt gesehen nach einem ersten Kontakt. »Eine sehr sichtbare Arena!«, rief und wiederholte sie mit einem kleinen Lachen, halb wegen der prätentiösen und komischen Note der Formulierung, halb wegen der Begeisterung, die aus der Hoffnung kam. »Wo mag er arbeiten? Eine sehr sichtbare Arena, das klingt nach Kino oder Fernsehen. Ist er vielleicht ein Ansager? Es gibt einige, die mir gefallen, aber natürlich, wenn er Spanier ist, dann weiß ich nicht, ich kenne sie nicht, aber du vielleicht.« Sie überlegte und fügte nach einer Weile hinzu: »Vielleicht ist er Sportler oder Politiker, obwohl ich nicht glaube, dass ein Politiker so ein Risiko eingeht. Aber in Spanien sind die Leute ziemlich dreist. Wenn er sagt, dass er in einer sehr sichtbaren Arena arbeitet, dann sagt er praktisch, dass er berühmt ist. Deshalb wird er sich erst mal als Amerikaner ausgeben wollen. Wer kann das wohl sein?«
    »Es kann sein, dass das mit der Arena falsch ist, ein Trick, um anzugeben und Interesse zu wecken. Bei dir gelingt es ihm.«
    »Kann sein, aber der Ausdruck hat jedenfalls seinen Charme. Arena. Aber er ist sehr amerikanisch, und wenn er Spanier ist, wo hat er ihn dann her?«
    »Aus dem Fernsehen, wo man alles lernt. Es kann auch sein, dass er überhaupt nicht berühmt ist, aber sich selber dafür hält. Vielleicht ist er ein Börsenmakler, oder ein Arzt, oder ein Unternehmer und hält sich für bedeutend und deshalb für exponiert, wo doch niemand diese Leute kennt, vor allem hier in Amerika.«
    Ich ermunterte sie in ihren Ideen und Erwartungen, das war das mindeste, was ich tun konnte. Das heißt, das mindeste, was ich tun konnte, war, ihr zuzuhören, ihrer Welt Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu bestärken, den Dingen Bedeutung

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