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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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eine Hoffnung nähren, obwohl sie es zu mir eigentlich immer ist. Eines Nachmittags, als ich vor Berta von der Arbeit gekommen war und die Post aus ihrem Briefkasten genommen hatte, verriet sie sich mehr denn je. Kaum hatte sie die Tür geöffnet und den Schlüssel in die Handtasche getan (ohne sich sogleich dem häuslichen Gang zu überlassen, die Konzentration hinderte sie daran), kam sie auf mich zu und fragte mich hastig, ohne mich vorher zu begrüßen:
    »Hast du die Post genommen oder war keine da?«
    »Ich habe sie rausgenommen. Deine liegt dort auf dem kleinen Tisch. Ich hatte einen Brief von Luisa.«
    Sie lief zu diesem Tisch und schaute die Kuverts an (eins, zwei und drei), und öffnete dann keines, bevor sie sich des Mantels entledigt hatte und im Badezimmer und am Kühlschrank gewesen war und sich ein Paar Mokassins angezogen hatte, die sie aus dem Gleichgewicht brachten. An jenem Abend ging keiner von uns beiden aus, und während ich das Quiz
Family Feud
im Fernsehen anschaute und sie las (zum Glück nicht Kundera), sagte sie zu mir:
    »Wie dumm von mir, ich bin durcheinander, ich vergesse die Dinge, vorhin habe ich geglaubt, dass etwas von Sichtbarer Arena in der Post sein könnte. Wenn er mir schreibt, dann an das Postfach, nicht hierher, er weiß meine Adresse nicht und auch nicht meinen Namen, ich bin ganz schön daneben.« Sie schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Glaubst du, dass er wieder antworten wird?«
    »Bestimmt. Wie könnte er nicht schreiben, nachdem er dich in dem Video gesehen hat«, antwortete ich.
    Sie blieb stumm, verfolgte mit mir eine Testaufgabe von
Family Feud.
Dann sagte sie:
    »Jedes Mal, wenn ich auf eine Antwort warte, entsetzt mich der Gedanke, dass keine kommt, und auch, dass sie eintrifft. Hinterher ist alles eine Katastrophe, aber während noch alles in der Schwebe ist, habe ich den Eindruck von völliger Reinheit und unendlichen Möglichkeiten. Ich fühle mich wie mit fünfzehn, ohne jede Skepsis, es ist eigenartig. Ich kann nicht vermeiden, mir Hoffnungen zu machen. Die meisten Typen, mit denen ich mich später treffe, sind nicht vorzeigbar, widerliche Typen, manchmal gehe ich nur deshalb mit ihnen aus und essen und noch weiter, weil ihnen das Warten und die Briefe vorausgehen, sonst würde ich nicht einmal in ihrer Gesellschaft die Straße überqueren. Ich nehme an, sie fühlen das Gleiche in Bezug auf mich.« Sie machte eine Pause, oder vielleicht verfolgte sie eine weitere Frage von
Family Feud.
Dann fuhr sie fort: »Deshalb ist der vollkommene Zustand der Zustand des Wartens und der Unwissenheit, das Dumme ist nur, wenn ich wüsste, dass dieser Zustand endlos dauern würde, dann würde er mir auch nicht mehr gefallen. Stell dir vor, plötzlich gibt es einen Typen, der mir aus irgendeinem Grund besonders gefällt, ohne dass ich etwas von ihm weiß, wie dieser Nick oder Jack, warum hat er wohl seinen Namen geändert, das ist nicht üblich. Solange ich ihn nicht kenne, vor allem, bevor ich sein Video gesehen habe, wenn er es schickt, oder seine Fotografie, fühle ich mich fast glücklich. Das sind seit langer Zeit die einzigen Tage, an denen ich wirklich froh und gut gelaunt bin. Dann schicken sie mir diese lächerlichen Videos, die sie für gewagt halten, das mit den Videos ist eine Plage, und dennoch verabrede ich mich oft mit ihnen, weil ich denke, dass alles, was vor der persönlichen Begegnung geschieht, in Wirklichkeit nicht zählt. Es ist zu künstlich, denke ich, die Leute verhalten sich anders von Angesicht zu Angesicht. Es ist, als gäbe ich ihnen eine zweite Chance, indem ich auf einmal auslösche, was sie aus der Ersten gemacht haben, oder als gäbe ich sie mir. Es ist seltsam, aber obwohl die Situation, in der die Videos normalerweise gemacht werden, falsch ist, trügen sie nie. Du musst bedenken, dass ein Video ungestraft angeschaut wird, wie das Fernsehen. Nie sehen wir jemand so gründlich und so dreist an, weil wir in jeder anderen Situation wissen, dass der andere uns ebenfalls anschaut oder uns ertappen kann, wenn wir ihn heimlich anschauen. Es ist eine teuflische Erfindung, es hat der Flüchtigkeit des Geschehens ein Ende gemacht, der Möglichkeit, sich zu irren und sich später die Dinge anders zu erzählen, als sie passiert sind. Es hat der Erinnerung ein Ende gemacht, die unvollkommen war und manipulierbar, selektiv und veränderlich. Jetzt kann man sich nicht nach Belieben an das erinnern, was aufgezeichnet ist, wie kann man sich an etwas

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