Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
erinnern, von dem man weiß, dass man es wieder sehen kann, so, wie es ist, sogar langsamer, als es geschehen ist. Wie kann man es verändern.« Berta sprach müde, sie hatte das böse Bein unter ihrem Körper, auf dem Sessel, verborgen, und in der Hand hielt sie das Buch, als hätte sie noch nicht beschlossen, die Lektüre zu unterbrechen und auch nicht, mein Quiz zu unterbrechen: Sie sprach daher wie in einer Klammer, das heißt, ohne so viel sagen zu wollen. »Ein Glück noch, dass man nur ein paar Augenblicke aus der Gesamtheit eines Lebens filmt, aber diese Augenblicke trügen nie, weißt du, mehr durch die Art, wie man sie anschaut, als weil das Gefilmte besonders echt wäre. Wenn ich die Videos dieser Männer sehe, rutscht mir das Herz in die Hose, obwohl ich auch lachen muss und ich mich dann mit einem von ihnen treffe. Mir rutscht das Herz in die Hose, vor allem, wenn ich sie mit ihren affektierten, entsetzlichen Anzügen und ihren Präservativen in der Tasche kommen sehe, nie hat einer vergessen, sie einzustecken, alle haben gedacht: ›Well, just in case.‹ Wenn jemand das in der ersten Nacht nicht denken würde, das wäre noch schlimmer, vielleicht würde ich mich in ihn verlieben. Jetzt mache ich mir Hoffnungen auf diesen Nick oder Jack, ein schrulliger Spanier, der sich als Amerikaner ausgibt, er muss ein komischer Typ sein mit seiner sichtbaren Arena, wer lässt sich schon so was einfallen. In diesen Tagen bin ich zufriedener und sogar froh, weil ich auf seine Antwort warte und darauf, dass er mir sein Video schickt, na ja, auch weil du da bist. Und was wird passieren? Sein Video wird widerlich sein, aber ich werde es mehrere Male anschauen, bis ich mich daran gewöhnt habe, bis ich ihn nicht so schlecht finde und seine Mängel mich schließlich anziehen, das ist der einzige Vorteil der Wiederholung, sie verzerrt alles und macht es vertraut, was im Leben abstößt, ist am Ende anziehend, wenn man es oft genug auf einem Bildschirm sieht. Aber im Grunde werde ich schon wissen, dass dieses Gesicht nichts anderes will als mich eine Nacht ficken und damit basta, wie es bereits erklärt hat, und dass es danach verschwinden wird, ob es mir gefällt oder nicht, ob ich will oder nicht. Ich will ihn sehen, und ich will ihn nicht sehen, ich will ihn kennenlernen, und ich will, dass er weiter ein Unbekannter bleibt, ich will, dass er mir antwortet, und ich will, dass seine Antwort nicht kommt. Aber wenn sie nicht kommt, werde ich verzweifelt sein, werde ich deprimiert sein, ich werde denken, dass ich ihm nicht gefallen habe, als er mich gesehen hat, und das ist immer verletzend. Nie weiß ich, was ich wünschen soll.«
    Berta verdeckte ihr Gesicht mit dem offenen Buch, ohne es zu merken: Als die Seiten ihr Gesicht berührten, ließ sie es fallen, und dann bedeckte sie es mit den Händen, wie es ihre Absicht gewesen war. Sie weinte nicht, sie verbarg sich nur ein wenig, einen Augenblick lang. Ich hörte auf,
Family Feud
anzusehen, und stand auf und ging zu ihr. Ich hob das Buch vom Boden auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie ergriff sie und streichelte sie (aber es war eine Sekunde), um sie dann ganz langsam wegzuschieben oder sanft zurückzuweisen.
    Es gab kein Gesicht im Video von ›Nick‹ oder ›Jack‹, der beim dritten Mal ›Bill‹ heißen wollte, ›es kann sein, dass dies mein endgültiger Name ist, vielleicht auch nicht‹, schrieb er immer noch in Englisch auf der Karte, die der Aufnahme beigelegt war, und das ›i‹ glich genau dem ›i‹ in ›Nick‹. Vielleicht war es an dem Tag angekommen, an dem es nicht zu Hause ankommen konnte und nicht ankam, aber Berta holte es zwei Tage später ab, als sie im Postfach des nächsten Postamtes nachsah, wo sie ihre persönlichste oder vielleicht unpersönlichste Korrespondenz empfing. Sie hatte noch den Mantel an, als ich an jenem Nachmittag die Wohnung betrat, sie war mir wenige Minuten zuvorgekommen, bestimmt wäre ich vor ihr eingetroffen, wenn sie nicht bei der Post vorbeigegangen und nicht mit dem Schlüssel herumhantiert hätte, der das silbrige Fach öffnete, oder nervös geworden wäre. Sie hielt das Paket in der Hand (das Paket in Form eines Videobandes), hielt es hoch und schwenkte es mit einem Lächeln, um es mir zu zeigen, um es mir mitzuteilen. Sie stand, also hinkte sie nicht.
    »Sehen wir es uns heute Abend zusammen nach dem Abendessen an?«, fragte sie mich vertrauensvoll.
    »Heute Abend esse ich auswärts. Ich weiß nicht, wann

Weitere Kostenlose Bücher