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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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zu geben, die für sie bedeutend waren, und mich optimistisch zu zeigen, das ist die erste Aufgabe der Freundschaft, wie mir scheint.
    »Vielleicht ist er ein Sänger«, sagte sie.
    »Vielleicht ist er ein Schriftsteller«, sagte ich.
    Berta schickte eine Antwort an das von ›Nick‹ angegebene Postfach, ›P.O. Box‹ heißt ein Postfach auf Englisch, alle Welt benutzt sie, es gibt Millionen von ihnen im ganzen Land. Aber obwohl Berta es bei meinen Aufenthalten nicht unterließ, mir jeden Brief und jedes Video eines jeden Briefpartners zu zeigen, tat sie nicht das Gleiche mit ihren schriftlichen Antworten, die sie schickte, ohne eine Kopie zu behalten und ohne sie mich sehen zu lassen, und ich verstand das, denn man kann zwar ein schiefes Urteil in Bezug auf seine eigenen Handlungen ertragen, die nie völlig sichtbar sind und wieder aufhören, aber nicht in Bezug auf die eigenen Worte, die völlig lesbar sind und fortdauern (auch wenn das direkte Urteil unwillkürlich und wohlmeinend ist seitens dessen, der es bildet, und er es nicht ausdrückt).
    Einige Tage später traf die Antwort auf ihre Antwort ein, ein weiterer Brief, den sie nicht versäumte, mir zu zeigen. Auch er war in anständigem, leicht unsicherem Englisch verfasst, der Sprache, in der auch Berta geschrieben hatte, wie sie mir sagte, um ihn nicht in seinen Sprachkenntnissen zu verletzen oder ihn zu enttäuschen, und war kürzer und lüsterner, als hätte meine Freundin ihn dazu aufgefordert, oder auch nicht, vielleicht tendierten die bei jedem ersten Kontakt unverzichtbaren minimalen Formen beim zweiten Schritt dazu, sich aufzulösen. Jetzt unterschrieb er nicht mit ›Nick‹, sondern mit ›Jack‹, dem Namen, den er ›diese Woche‹ vorzog, wie er sagte, und der Name war wieder handschriftlich, das ›c‹ und das ›k‹ waren bei beiden genau gleich. Er bat sie jetzt um ein Video, um ihr Gesicht und ihre Stimme kennenzulernen, und entschuldigte sich, dass er noch keines schickte (also musste Berta ihn als Erste darum gebeten haben): Da er noch dabei sei, sich für die zwei Monate in der Stadt einzurichten, habe er keine Zeit gehabt, sich eine Kamera zu kaufen oder sich zu erkundigen, in was für einer Art Geschäft man ihm eines machen könne, er würde es das nächste Mal schicken. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er weder seine Arena noch erzählte er mehr von sich, er sprach nur ein wenig von Berta, die er sich kurz (drei Zeilen) in der Intimität vorzustellen suchte. Er benutzte noch immer spießige und nicht grobe Ausdrücke, Wendungen, wie sie in vertraulichen Liedern vorkommen: ›Ich denke schon an den Augenblick, da ich dich ausziehen und deine weiche Haut streicheln werde‹, und Ähnliches. Nur am Schluss, vor der Unterschrift, verabschiedete ›Jack‹ sich mit einer brutalen Flegelei, als hätte er sich nicht zügeln können: ›Ich will dich ficken‹, schrieb er auf Englisch. Aber mir kam es so vor, als sei dies kaltblütig und als unbarmherzige Erinnerung hingeschrieben, damit Berta ja nicht auf den Gedanken kam, dies gehöre
nicht
zu dem Programm, das sie gerade zusammenstellten. Oder vielleicht war es eine Art, die vorausgehenden klangvollen Spießigkeiten aufzuheben oder die Widerstandskraft und das Vokabular (die lexikalische Toleranz) seiner Briefpartnerin zu testen. Berta besaß Widerstandskraft und Humor für so etwas und mehr: Sie lachte noch immer, ihre Augen glänzten, sie hinkte weniger, sie fühlte sich geschmeichelt und vergaß dabei einen Augenblick lang, dass sie für diesen Mann, der sie begehrte oder sie ficken wollte, vorerst nicht mehr als ein paar Buchstaben war, Initialen, Verheißung, › BSA ‹, ein paar Worte, in einer Sprache geschrieben, die weder ihre noch seine war; und dass sie dann, wenn er sie sähe oder ihr Video sähe und sie etwas mehr wäre, nicht mehr begehrt werden oder nicht einmal gut genug zum Ficken sein könnte, wie es ihr einmal passiert war; und dass sie, nachdem das Begehren gestillt wäre – wenn es gestillt wurde –, verschmäht werden konnte, wie es ihr seit einiger Zeit fast jedes Mal widerfuhr, sie wusste nicht oder wollte nicht wissen, weshalb.
    Sie war sich all dessen bewusst (wenn der Augenblick vorbei war), aber sie antwortete ›Jack‹, so wie sie ›Nick‹ geantwortet hatte, und schickte ihm eine Kopie ihres Agentur-Videos und begann zu warten. Während der Tage des Wartens war sie nervös, aber auch aufgekratzt, liebevoll zu mir, wie es die Frauen sind, wenn sie

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