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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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spazieren gegangen an jenem so glorreichen Vormittag, an dem Luisa und ich uns kennenlernten.
    Jetzt war unser hoher Würdenträger noch immer in Amt und Würden, vielleicht dank seines Pathos und seiner vom Thema abschweifenden Gedanken, die ebenso in die Irre gingen wie die der englischen Staatenlenkerin, aber ihr hatten sie nicht geholfen, ihren zu bewahren (wahrscheinlich war sie eine depressive und zweifellos eine nachdenkliche Frau, und damit gräbt man sich in der Politik das eigene Grab). Nach der Rede begegnete ich ihm in einem Flur, umringt von seinem Gefolge (mein Turnus war beendet, und er wurde unaufrichtig zu seiner hochtrabenden Rede beglückwünscht), und da ich ihn kannte, kam mir der Gedanke, ihn mit ausgestrecker Hand zu begrüßen, während ich ihn mit seinem Amtstitel ansprach, vor den ich das Wort ›Herr‹ setzte. Es war eine naive Idee. Er erkannte mich überhaupt nicht, obwohl ich einst seine Worte verdreht und ihn erfundene Dinge hatte sagen lassen, die ihm niemals in den Sinn gekommen wären, und zwei Leibwächter packten unverzüglich meine ausgestreckte Hand und die nicht ausgestreckte und drehten sie mir auf den Rücken, wo sie sie mit solcher Gewalt festhielten (sie zerquetschten, mich kaputtmachten), dass ich mich einen Augenblick lang schon gefesselt, das heißt in Handschellen fühlte. Ein oberster Beamter der Vereinten Nationen, der mich wohl bemerkt hatte und sich gerade in der Nähe befand, identifizierte mich zum Glück sofort als den Dolmetscher, und so erreichte er meine Freigabe durch jene, die unserem allerhöchsten Würdenträger den Rücken deckten.
    Dieser ging schon den Flur hinunter mitsamt seinen verlogenen Glückwünschen und einem unangebrachten Schlüsselgerassel (er hatte es mit seinem Schlüsselbund, er spielte mit ihm in der Tasche herum). Als ich ihn sich entfernen sah, bemerkte ich, dass seine Hose ebenfalls landsmännisch war, sie hatte teil an dem berühmten, unverwechselbaren Schnitt. Das Gegenteil wäre nicht gut gewesen bei einem so repräsentativen Repräsentanten unseres fernen Landes.
    Ich erzählte Berta diese Anekdote an jenem Abend zu Hause, und sie, anders als sonst, wenn ich ihr Andekdoten erzählte, hörte nicht amüsiert und auch nicht erstaunt zu und noch weniger mit Begeisterung, in Gedanken bei dem, was ihr an jenem Tag oder seit mehreren Tagen durch den Kopf gegangen sein mochte, ein Plan, ›Bill‹ ohne Zweifel.
    »Würdest du mir helfen, das Video zu drehen?«, fragte sie mich unvermittelt, als ich meine Episode zu Ende erzählt hatte.
    »Dir helfen? Was für ein Video?«
    »Komm, stell dich nicht dumm. Das Video. Ich werde es ihm schicken. Ich habe beschlossen, es ihm zu schicken. Aber bei so einem kann ich mich nicht selbst filmen, das würde nicht gut werden. Die Bildausschnitte und das alles, die Kamera darf nicht starr sein, sie muss sich bewegen. Würdest du mir helfen?« Sie hatte in leichtem, fast amüsiertem Ton gesprochen. Ich sah sie anscheinend mit einem idiotischen Ausdruck an, denn sie fügte hinzu (und der Ton war nicht mehr leicht): »Mach nicht so ein idiotisches Gesicht und antworte mir. Wirst du mir helfen? Es ist doch klar, wenn wir es ihm nicht schicken, dann wird er nichts mehr von sich hören lassen.«
    Ich sagte (am Anfang überlegte ich meine Worte nicht): »Na und? Ist das so schlimm? Wer ist er denn? Denk mal darüber nach. Wer ist er? Was hat er für eine Bedeutung, wenn wir ihm keine geben? Noch können wir ihm keine geben, noch ist er niemand, du hast nicht einmal sein Gesicht gesehen.«
    Sie hatte abermals den Plural benutzt: ›wenn wir es ihm nicht schicken‹, hatte sie gesagt, und damit meine Beteiligung schon vorausgesetzt. Vielleicht war es nicht mehr so ungerechtfertigt, dass sie ihn benutzte, seitdem ich in der Kenmore Station und an anderen Orten gewesen war, bis hin zur Markise des Hotels Plaza. Auch ich hatte ihn benutzt, durch Anpassung, durch Ansteckung, ›wenn wir ihm keine geben‹, ›noch können wir ihm keine geben‹. Ich hatte es ohne Absicht getan.
    »Für mich hat er Bedeutung, für mich ist es sehr schlimm.«
    Ich schaltete den Fernseher ein, es war die Zeit von
Family Feud
, eines täglichen Programms, die Bilder würden dazu beitragen, die ärgerliche Stimmung zu dämpfen, die im Entstehen war, vielleicht die Worte zum Verstummen bringen, es ist unmöglich, nicht von Zeit zu Zeit auf einen eingeschalteten Bildschirm zu schauen.
    »Warum versuchst du nicht, ein Treffen auszuhandeln?

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