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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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oder beharrt unaufhörlich oder lässt sich unaufhörlich erinnern, was sich ergibt, ist identisch mit dem, was sich nicht ergibt, was wir ausschließen oder vorbeigehen lassen, identisch mit dem, was wir nehmen und ergreifen, was wir erfahren, identisch mit dem, was wir nicht ausprobieren, wir verwenden unsere ganze Intelligenz und unsere Sinne und unser Bestreben auf die Aufgabe, zu unterscheiden, was gleich sein wird oder es schon ist, und deshalb sind wir reich an Reuegefühlen und verpassten Gelegenheiten, an Bestätigungen und Bekräftigungen und genutzten Gelegenheiten, wo es doch so ist, dass nichts Bestand hat und alles verlorengeht. Oder vielleicht gibt es nie etwas.‹
    »Ist gut, aber machen wir es rasch, jetzt gleich«, sagte ich zu Berta. »Beeilen wir uns.« Und ich benutzte den Plural in meinen Sätzen, vollauf berechtigt.
    »Du machst es?«, sagte sie mit unverhohlener, plötzlicher Dankbarkeit und mit Erleichterung
    »Sag mir, was ich tun soll, und ich werde es tun. Aber rasch, komm, mach dich fertig, je eher wir anfangen und fertig sind, umso besser.«
    Berta kam zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Sie verließ das Wohnzimmer und holte ihre Kamera, aber wir gingen sogleich in das Zimmer zurück, aus dem sie sie geholt hatte, denn sie wählte als Schauplatz ihr Schlafzimmer, das ungemachte Bett. Wir waren beim Frühstück, es war noch Vormittag.
    Dieser Körper hatte nichts zu tun mit dem, an den ich mich erinnerte oder an den ich mich nicht mehr erinnerte, obwohl ich ihn in Wahrheit nur durch die Kamera anschaute, um die Ausschnitte und Großaufnahmen zu machen, die sie mir vorschlug, als wäre der indirekte Blick auf ihn eine Art, ihn nicht zu betrachten, jedes Mal, wenn wir die Aufnahme einige Sekunden unterbrachen, um eine neue Positur auszudenken oder die Einstellung zu verändern (ich, sie zu verändern, sie, sie auszudenken), schaute ich auf den Boden oder in den Hintergrund, zur Wand und zum Kissen, über ihre Gestalt hinweg, mit meinem undurchsichtigen Blick. Berta hatte sich zunächst an das Fußende des Bettes gesetzt, wie ›Bill‹ es in seinem hellblauen Bademantel getan hatte, und auch darin hatte Berta ihn nachgeahmt, sie hatte sich ihren eigenen Bademantel angezogen (der weiß war), nachdem sie mich gebeten hatte zu warten, bis sie sich geduscht hatte, sie kam mit feuchtem Haar und geschlossenem Bademantel heraus, später öffnete sie ihn ein wenig, sie ließ ihn in Brusthöhe allmählich auseinanderklaffen, mit noch immer zugebundenem Gürtel, ich erinnerte mich nicht an diese durch den Lauf der Zeit oder vielleicht durch die Berührung gewachsenen oder vollkommener gewordenen Brüste, ich konnte nicht glauben, dass es ein injizierter Busen war, es schien, als hätte er sich verwandelt oder wäre mütterlich geworden, seitdem ich ihn nicht mehr sah, und deshalb kam ich mir nicht nur indiskret vor, sondern war auch verwirrt (vielleicht wie ein Vater, der aufhörte, seine Tochter nackt zu sehen, als die Tochter aufhörte, ein Kind zu sein, und sie plötzlich als Erwachsene sieht, durch Zufall oder durch ein Unglück). Ihr ganzer Körper, den ich durch das Objektiv sah, war kräftiger als der, den ich vor nunmehr fünfzehn Jahren in Madrid umarmt hatte, vielleicht hatte sie Schwimmsport oder Gymnastik betrieben in den zwölf Jahren, die sie in Amerika lebte, ein Land, in dem die Körper gepflegt und modelliert werden, nur das. Aber außer kraftvoller war er auch älter, die Farbe gedunkelt, wie die Haut der Frucht dunkler wird, wenn sie zu faulen beginnt, die Falten an den Achseln, in der Taille, die Haut mit Streifen in einigen Zonen durch die verschatteten Risse, die man nur aus großer Nähe gewahrt (die Streifen fast weiß, als wären sie mit feinstem Pinsel auf Holz gemalt), die so kräftigen Brüste selbst, zu stark auseinanderstrebend, ihr Tal verbreitert, würden bestimmte Dekolletés nicht gut verkraften. Berta hatte die Scham beiseite gelassen, oder so schien es, im Gegensatz zu mir, ich bemühte mich daran zu denken, dass ich dies für andere Augen filmte, die Augen von ›Bill‹ oder Guillermo, die stechenden und unentzifferbaren Augen des Individuums aus dem Hotel Plaza, PH , sein penetranter und zugleich undurchsichtiger Blick würde sehen, was ich jetzt sah, für ihn war es bestimmt, nicht für meinen undurchsichtigen, aber nicht penetranten, ich sah es nicht, obwohl es der von mir gewählte Blickwinkel war, den er zu sehen bekäme, es hing von mir ab

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