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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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(aber auch von Berta), was er später auf seinem Bildschirm sehen würde, nicht mehr und nicht weniger, nur, was wir beschließen, was wir für die so kurze Nachwelt aufnehmen würden. Berta hatte ihren Bademantel bis zur Taille herabgleiten lassen, mit noch immer zugebundenem Gürtel, die Beine von den Mantelschößen bedeckt, nur der Oberkörper entblößt (aber völlig entblößt). Ich filmte ihr Gesicht nur nebenbei, bei einer Bewegung der Videokamera, die es erfasste, vielleicht mit dem Wunsch, das bekannte Gesicht (Nase, Augen und Mund; Kinn, Stirn und Wangen, es ist das ganze Gesicht) vom unbekannten Körper abzugrenzen, der Körper älter und stärker, oder er war nur vergessen. Er glich nicht dem Luisas, welcher der Körper ist, an den ich gewöhnt war und bin, obwohl mir in dem Augenblick klar wurde, dass ich den Körper Luisas niemals mit solcher Genauigkeit betrachtet hatte, durch eine Kamera, der Körper Bertas war wie nasses Holz, in das man Messer rammt, der Luisas wie indiskreter Marmor, auf dem die Schritte hallen, jünger und weniger erschöpft, weniger ausdrucksvoll und unversehrter. Wir sprachen nicht, während ich filmte, das Video nahm die Stimmen auf, vielleicht gab es für meine Freundin Berta kein Amüsement und auch keine Erleichterung mehr, für mich hatte es sie nie gegeben, Stimmen setzen das Geschehen herab, das Kommentieren verwischt die Tatsachen, auch ihr Erzählen, wir machten eine Pause, ich hörte mit dem Filmen auf, alles dauerte nur kurz, es ging nur darum, ein paar Minuten aufzunehmen, aber wir waren noch nicht fertig. Ich schaute immer mehr mit den Augen von ›Bill‹, die ich gesehen hatte, aber Berta nicht, es waren nicht meine, sondern seine, niemand könnte mich beschuldigen, mit diesem Blick geschaut zu haben, sehend gesehen zu haben, wie ich zuvor gesagt habe, denn nicht ich war es genau genommen, sondern er durch meine Augen, die seinen und die meinen undurchsichtig, die meinen immer penetranter. Aber sie kannte diese Augen nicht, wir waren noch nicht fertig. »Die Möse«, sagte ich zu Berta, und ich weiß nicht, wie ich es ihr sagte, wie ich wagte, es ihr zu sagen, aber ich tat es: »Uns fehlt die Möse«, sagte ich und benutzte den Plural, um mich einzubeziehen oder vielleicht um abzumildern, was ich sagte, nur zwei Wörter, dann vier, die beiden Ersten im zweiten Satz wiederholt (womöglich sprach ich mit dem Mund von ›Bill‹). Berta antwortete nicht, sie sagte nichts, ich weiß nicht, ob sie mich anschaute, ich schaute nicht auf sie (in diesem Augenblick filmte ich nicht), sondern zum Hintergrund, zur Wand und zum Kissen, von dem aus die Kranken und Frischverheirateten schließlich die Welt betrachten, auch die Liebenden. Sie löste den Gürtel und schlug den Bademantel auch auf Bauchhöhe auseinander, sie hielt die Beine noch immer mit den Mantelschößen bedeckt, das heißt, sie ließ das Innere der Oberschenkel, aber nicht ihre Oberseite und nichts weiter unten sehen, den Rest, die Mantelschöße fielen senkrecht wie eine blassblaue Kaskade herab und verbargen die Extremitäten (oder es war eine weiße Kaskade), eine länger und die andere kürzer, eine kürzer und die andere länger, und ich filmte, mich nähernd, ein paar Sekunden Video für die flüchtige Nachwelt, Berta würde eine Kopie machen, sie hatte es gesagt. Sie schloss sofort den Bademantel, sobald ich das Ende ihrer Oberschenkel aufgenommen hatte, und ich zog mich mit der Kamera ein wenig zurück. Ich dachte, dass ihre Narbe bestimmt dunkelviolett war, ich schaute sie noch immer nicht an, ich musste ihr noch etwas sagen, wir waren noch nicht fertig, uns fehlte noch etwas von dem, was ›Bill‹, ›Jack‹ oder ›Nick‹ von uns gefordert hatte, uns fehlte das Bein. Ich zündete die Zigarette an, und dabei fiel ein wenig Glut auf das ungemachte Bett, aber sie war bereits erloschen und fraß sich nicht in das Laken. Und dann brachte ich es fertig, es ihr zu sagen, oder ›Bill‹ sagte es ihr, oder Guillermo sagte es ihr mit unserer Stimme wie eine Säge. »Das Bein«, sagten wir zu ihr, sagte ich zu ihr. »Uns fehlt das Bein«, sagten wir, »erinnere dich daran, dass Bill es sehen will.«

W enn ich mich jetzt an all das erinnere, dann deshalb, weil das, was danach, ganz kurz danach und noch immer in New York, geschah, in einer Hinsicht (aber ich glaube, nur in einer, oder es waren zweierlei oder dreierlei) dem glich, was noch später (aber wenig später) geschah, als ich wieder nach Madrid zu

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