Mein Herz springt (German Edition)
innere Uhr. Oder ist es der Restalkohol? Ich fühle mich verkatert. Ich kuschele mich noch einmal fest in meine Bettdecke und denke mit etwas flauem Magen an den gestrigen Abend. Die Begegnung mit Clausen war zweifelsohne kein Traum. Diese Tatsache beruhigt mich. Ich merke, wie die Erinnerung ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Und gleichzeitig bin ich froh, dass nicht mehr passiert ist. Es hätte den magischen Augenblick, der zwischen uns lag, zerstört. So haben wir etwas angebahnt, das auf den bevorstehenden Abend neugierig macht. Ich weiß noch nicht, was es ist, aber ich freue mich darauf. Mehr Gedanken möchte ich mir jetzt nicht dazu machen. Ich will alles auf mich zukommen lassen. Und so beschließe ich, mich erst einmal kalt abzubrausen.
Als ich aus der Dusche steige, klingelt das Telefon. Ich binde mir schnell ein Handtuch um meinen nassen Körper und laufe im Eiltempo zum Telefon, das auf dem Nachttisch liegt. Ich lese auf dem Display: »Kalle ruft an.« Etwas zögerlich nehme ich das Telefonat entgegen.
»Guten Morgen, Kalle«, begrüße ich meinen Mann.
»Guten Morgen, meine kleine Nachtschwärmerin. Dein letztes Lebenszeichen kam kurz nach zwei Uhr heute Nacht. Warst du noch aus?«
»Ja«, antworte ich. »Ich habe hier eine sehr sympathische Frau aus Bozen kennengelernt. Lisa. Wir waren noch ein paar Gläser Wein trinken.«
»Dann ist es ja gut«, entgegnet Kalle. »Ich dachte schon, da hätte ein Mann seine Finger im Spiel.«
»Nur einer?«, ziehe ich ihn auf. »Eine ganze Menge. Ich bin schon richtig dem Wiener Schmäh verfallen.« Wir lachen beide – ich zugegebenermaßen etwas verlegen. »Wie geht es Frieda?«
»Gut. Deine Mutter bringt sie gerade in den Kindergarten.«
»Dann lass uns heute Abend noch mal telefonieren. Ich melde mich, wenn ich vom Kongress zurück bin. Einen schönen Tag wünsch ich dir. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Ich lege auf und wundere mich, dass ich fast routinemäßig ein Telefonat mit Kalle abspulen kann. Kein schlechtes Gewissen, dass ich nicht ganz die Wahrheit erzählt hatte. Kein schlechtes Gewissen, dass meine Gedanken vergangene Nacht nicht nur bei ihm waren.
Der Start in den Tag mit Kalle ist Teil meines Lebens. Um nichts in der Welt möchte ich diese Stabilität und diese Alltäglichkeit missen. Aber setze ich diese, mir so wichtigen Werte gerade auf’s Spiel? Ich verdränge die in mir aufgekommene Zerrissenheit für diesen Moment.
Kurz nachdem ich das Telefonat beendet habe, bekomme ich eine SMS von Lisa. »Guten Morgen, Betty. Bist Du gut nach Hause gekommen? Mit dem Herzguru? Treffen wir uns um 12.30 Uhr im Messe Restaurant? Liebe Grüße von Lisa.« Ich antworte sofort: »Gute Idee. Bis gleich. Und stell schon mal den Wein kalt. Liebe Grüße, Betty.«
Die Verabredung um halb eins ist ein guter Plan. Da haben wir genug Zeit, um noch ein bisschen über den gestrigen Abend zu plaudern. Um 14.00 Uhr steht Clausens Vortrag auf dem Programm. Den will ich auf keinen Fall verpassen – nicht nur aus fachlichen Gründen.
Ich mache mich fertig. Was die Kleiderauswahl angeht, ist es mir heute nach Business-Look. Zu einem schwarzen, schmalgeschnittenen, knielangen Rock trage ich eine hellblaue, meine Taille betonende Bluse. Ich frage mich kurz, ob das Outfit dem Anlass gegeben zu schick sei, verneine aber meinen Zweifel und mache mich auf den Weg.
Obwohl die Vorträge, die ich mir für heute Vormittag vorgenommen habe, inhaltlich interessant sind, fühle ich mich durch den gestrigen Abend ausgelaugt. Ich quäle mich, meine Konzentration aufrecht zu halten. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab. Und ich erwische mich dabei, wie ich diese Gedanken genieße: die unsagbare Wiedersehensfreude gestern Abend, die beiläufig anmutenden – aber mehr als tausend Worte sagenden Blickkontakte in der Bar, die distanziert wirkende – aber mit beiden Händen greifbare Nähe auf der Rückbank des Taxis und ein Abschied, der schon bald ein Wiedersehen verheißen ließ.
Pünktlich um 12.30 Uhr stehe ich an unserem Treffpunkt und warte auf Lisa. Ein paar Minuten später kommt sie – vom Vorabend sichtlich gezeichnet – auf mich zu. Sie küsst mich links und rechts auf die Wange. Danach wandert ihr Blick von meinem Scheitel bis zur Fußsohle. »Betty, wieso bist du denn so aufgestylt? Steht heute etwas Besonderes an?«
»Nein, wieso?«, reagiere ich fragend, ohne aber eine Antwort zulassen zu wollen. »Wie war dein Abend gestern noch, Lisa?«
»Erzähl ich
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