Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)
»Sieht aus wie Trollrotz. Ekliges Zeug.«
»Um Himmels willen, Frump, hast du dir vielleicht die Tollwut eingefangen? Was ist bloß in dich gefahren?«, schreie ich ihn an.
Bevor er antworten kann, schießt Orvilles Blick nach oben. »Weg da!«, brüllt er. »Geht in Deckung!« Er hechtet unter seine Werkbank und ich schütze Delilah mit meinem Körper, während eine Truhe auf dem obersten Regalbrett bedrohlich zu schwanken beginnt. Sie besteht aus massivem Eisen und ist mit diversen Ketten und Vorhängeschlössern versehen. »Lasst sie nicht …«
Die kleine Truhe kippt nun endgültig und purzelt auf den Boden, wo sie direkt zwischen Delilah und Frump landet und aufspringt.
»… herunterfallen …«, beendet Orville fast unhörbar seinen Satz.
Lichtstrahlen dringen durch die Risse in dem Eisenkasten und formen sich zu einer schillernden, schwebenden Kugel. Erst beginnt sie langsam zu zittern, dann heftig zu vibrieren, bis sie wie ein Feuerwerkskörper in Richtung Decke schießt. Putz regnet auf unsere Köpfe herab, aber die Lichtkugel rast weiter, prallt immer wieder gegen die Wände und den Boden. Und dabei scheint sie sich mehr und mehr mit Energie aufzuladen.
»Was ist das für ein Ding?«, kreischt Delilah.
»Das Pandämonium«, sagt Orville. »Ihr müsst es aufhalten, bevor alles hier zerstört ist.«
Das Licht zischt an Seraphimas Wange vorbei, sie schreit auf und schlägt nach ihm. Doch sie verfehlt es und ihre Hand landet in Orvilles Gesicht. Er fällt nach hinten und reißt mich dabei mit zu Boden, während das Licht in Spiralen über die Regale flitzt, alle verbliebenen Flaschen zerschmettert und die aufgehängten Kräuter von den Stängeln trennt. Es taucht in die Schale, sodass lavendelfarbene Funken in die Luft stieben, dann trudelt es auf den Lehmboden und gräbt dort eine tiefe, schwarze Kuhle.
Einen Augenblick lang versuchen wir alle uns zu sammeln. Ob es jetzt vorbei ist? Orville und ich kriechen näher an das Loch heran und spähen hinunter.
Da explodiert es wie ein Vulkan, die Lichtkugel schießt an Frump vorbei …
Frump?
Mein zuverlässiger, treuer Hund ist verschwunden. Stattdessen liegt auf dem Boden ein Mensch, ganz nackt.
»Frump?«, sage ich staunend. »Bist du das?«
»Ich wollte dich nicht angreifen, Ollie«, erklärt er verlegen. »Ich war bloß so sauer, als Seraphima völlig aufgelöst zu mir kam …«
Frumps Stimme ist die gleiche geblieben. Er hat sogar so etwas wie einen Hundeblick. Aber er ist ganz eindeutig nicht mehr der, der er war. »Kumpel«, murmle ich. »Äh …« Ich deute auf seine Blöße.
Er blickt an sich herunter, jault und schnappt sich das nächste Stück Stoff, das er finden kann – eine mit silbernen Sternen bestickte Tischdecke, die er um seinen Unterleib schlingt. Er ist ungefähr so alt wie ich, drahtig und muskulös, mit strubbeligem Haar in der gleichen Farbe, wie sein Fell gewesen ist. »Was ist passiert?«, flüstert er und grinst breit, als er seine Arme, seine Hände, seine Nase ertastet.
»Frump?«, fragt nun auch Seraphima. Sie sieht ihn an, wie sie immer mich angesehen hat, als könnte sie die Augen nicht abwenden.
Am Rande nehme ich wahr, dass hinter mir das Pandämonium weiter wütet und alles zerstört, was seinen Weg kreuzt – Orvilles Tisch fügt es einen gewaltigen Riss zu und es versengt die Spitze seines Hutes.
Der Fluch. Der Fluch, der Frump in einen Hund verwandelt hat, muss rückgängig gemacht worden sein, bloß wie?
Ich sehe zu Delilah, kann sie jedoch nicht mehr rechtzeitig warnen, als das Pandämonium unter ihren Füßen hindurchjagt. Sie fällt auf den Boden und jetzt bemerke ich die Flecken auf ihrem Kleid.
Irgendeine Mischung der Tränke und Kräuter, die Delilah gestohlen hat, muss auf Frump getropft sein, als sie beide hintenüberfielen. Ich vermute stark, dass sie diesen zufälligen Zauber nicht wiederholen könnte, wenn sie wollte. Aber das Resultat ist, dass Frump wieder ein Mensch ist.
»Oliver!« Ich wende meine Aufmerksamkeit gerade rechtzeitig von meinem Freund ab, um zu sehen, dass das Pandämonium direkt auf Delilah zuschießt.
»Rette dich!«, schreit Orville.
Es bewegt sich viel zu schnell, als dass sie sich aus dem Weg rollen könnte. Delilah sucht mit dem Blick verzweifelt nach irgendetwas, das die Wucht aufhalten könnte. Im letzten Moment schnappt sie sich etwas, das in Reichweite auf dem Boden liegt. Erst als sie es aufgeschlagen vor ihr Gesicht hält, merke ich, was es ist.
Das
Weitere Kostenlose Bücher