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Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Titel: Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hannawald
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von 37 auf 56 Zentimeter. Das sind Welten.
    Zurück zum guten Gefühl
    Auch beim Material gelang ein Neustart. Schon im Sommer hatte ich mich für einen Wechsel der Skimarke entschieden, von »Fischer« zu »Rossignol«. Martin Schmitt hatte mit Latten des französischen Herstellers große Erfolge herausgeholt. Mir brachten die neuen Sprungskier das gute Gefühl zurück.
    Schwer zu erklären, was es genau ausmacht, dieses gute Gefühl, das beim Skispringen so eine tragende Rolle spielt. Pierre Heinrich, der Skitechniker von »Rossignol«, erklärte es mal auf seine Weise: »Auf ihnen können die Springer mit der Luft besser spielen und regelrecht mit den Ski flirten.«
    Mit dem Ski flirten? Na ja, das ist erst möglich, wenn du dich auch körperlich in erstklassiger Form fühlst. So weit war ich im Juli und August aber noch nicht, ich steckte noch mitten im Aufbautraining. Folglich lief es bei den ersten Tests, beim Sommer-Grand- Prix, noch nicht wirklich gut. In Hinterzarten wurde ich 34., im französischen Courchevel 18. Aber in Stams, in Österreich, immerhin schon 8. Seit Monaten dominierte der Pole Adam Małysz fast alle Wettbewerbe.
    Wir ließen uns nicht verrückt machen. Wir trainierten in Ruhe weiter. Im Schneevorbereitungslehrgang, Mitte November, stellten sich deutliche Fortschritte ein. Endlich. Ich fühlte mich jeden Tag ein bisschen besser, physisch stärker und auch selbstbewusster. Ich spürte, wie die Lust aufs Springen wieder da war.
    Bei den ersten Weltcupspringen in der Olympiasaison 2001/2002 im finnischen Kuopio wurde ich immerhin 5. und 14. Jetzt konnte ich mich richtig auf den ersten Höhepunkt der neuen Saison freuen: die Vierschanzentournee.
    Geheime Treffen mit einem Sportpsychologen
    Keiner wusste es, nicht mal meine Trainer: Seit ein paar Monaten schon hatte ich mit einem Psychologen zusammengearbeitet. Ich erhoffte mir, mit seiner Hilfe auch im Kopf stärker zu werden. Immer wieder musste ich erleben: Im Training lief es super, aber sobald es ernst wurde, ich die Startnummer übergestreift hatte und der Wettkampf startete, begann bei mir das große Flattern. Furchtbare Nervosität setzte mir zu, blockierte mich. Es machte mich verrückt, dass ich ein ums andere Mal weit unter meinen wahren Möglichkeiten blieb.
    Deswegen traf ich mich ab Mai 2001 mit Prof. Dr. Hans Eberspächer. Der erfahrene Sportwissenschaftler aus Heidelberg genoss in der Szene einen exzellenten Ruf als »Mentalcoach«. Mein damaliger Manager Werner Heinz hatte den Kontakt zu ihm angeregt, nachdem ein anderer seiner Klienten, ein Rennfahrer, von der psychologischen Betreuung erstaunlich profitiert hatte.
    Wir verabredeten uns ein- oder zweimal pro Monat, meist im Stuttgarter Hotel Steigenberger, in der Nähe vom Bahnhof. Bei Kaffee und Kuchen brachte mich Professor Eberspächer Schritt für Schritt darauf, wie das geht: Gut sein, wenn es darauf ankommt. Er hatte eine Art, die mir sehr gefiel. Er verpackte sein Wissen nicht in komplizierte Psychoformeln oder pompöse Fremdworte. Er schaffte es, mit verständlichen Worten und anschaulichen Bildern mein Problem zu entlarven und mir die Augen zu öffnen. Er erklärte, dass es darum ginge, im Dreiklang zwischen Körper, Material und Kopf Synergien herzustellen, die Prozesse im Kopf so regulieren, dass sie das Handeln optimal unterstützen. Er wies auf Routinehandlungen hin, die man im Kopf gar nicht merkt. Und auf Handlungen, die ausschließlich über den Kopf gesteuert werden. Er nannte ein Beispiel: »Auf einem Stuhl am Schreibtisch zu sitzen ist Routine. Etwas anders sieht es aus, wenn der Stuhl an der Kante eines Zehnmeterturms im Schwimmbad steht.«
    »Im Extremfall kann das Mentale nahezu 100 Prozent ausmachen.« Prof. Dr. Hans Eberspächer, Sportpsychologe
    »Konzentriere dich auf deine Kernkompetenz!« Genau das war es: Ob Training oder Wettkampf – vom Ablauf her ist jeder Sprung ja immer gleich. Ich musste also lernen, diese vorauseilende und hemmende »Was passiert, wenn«-Wertung aus dem Kopf zu bekommen und mich nur auf meine »Kernkompetenz« zu konzentrieren. Ich musste mich nur darauf besinnen, was ich tun muss, um eine Situation zu meistern – nämlich technisch sauber zu springen. Diese Kernkompetenz besaß ich ja. Ich musste nur lernen, sie auch eiskalt abzurufen, wenn es darauf ankommt. Mehr nicht.
    Ich musste schmunzeln. Es war um so viel einfacher, als ich mir das vorgestellt hatte: diesen komplizierten, mentalen Knoten in meinem Kopf zu

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