Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Wettbewerben, besonders in Willingen im Sauerland und daheim in Hinterzarten. Die Autogrammwünsche, während wir abends eigentlich noch locker laufen wollten, die vielen Kameras, in die wir ständig lächeln sollten – sie schmeichelten natürlich. Aber die Ansprüche der Fans konnten auch belastend sein. Immer nett mitmachen oder auch professionell abblocken – diesen inneren Konflikt erlebten wir beide immer wieder. Und wir wussten, dass am Wettkampfnachmittag abgerechnet wird. Da zählt nicht, wie freundlich du vorher zu allen gewesen bist.
Besuch bei einem alten Freund: Martin Schmitt (Jahrgang 1978) mutet sich immer noch die Strapazen zu, die der Weltcup mit sich bringt.
Ein gesunder Konkurrenzkampf
Wir konnten die Situation des anderen gut einschätzen. Wir konnten uns gegenseitig helfen. Wir sprachen zu zweit mit einer Stimme, und wenn wir mal was sagten, hatte das auch Gewicht.
Einmal, in Oberstdorf, konnten wir ganz leicht durchsetzen, unser Mannschaftsquartier, in dem wir traditionell wohnten, zu wechseln. Es lag zentral im Ort. Aber jetzt war der Rummel vor der Unterkunft Café Bauer einfach zu groß geworden, bis spät in die Nacht noch Hully-Gully, und in unserem Zimmer klingelte ständig das Telefon.
Uns und unsere besondere Situation hat Bundestrainer Reinhard Heß in seinem Buch »Mehr als ein Job« treffend beschrieben: »Hannawald und Schmitt bilden ein ideales Paar, das sich gegenseitig zu Höchstleistungen anspornt, das aber bis zu einem gewissen Punkt auch Schutzschild für den jeweils anderen ist.«
Martin und ich – wir waren beide ehrgeizig. Wie gut, dass wir uns mochten und sehr gut miteinander konnten. Keiner war auf den Erfolg des anderen neidisch.
Wir pflegten einen gesunden Konkurrenzkampf. Wir stachelten uns im Training gegenseitig an. Wir schaukelten uns gegenseitig hoch – zu immer besseren Leistungen.
Hannimania
Die Begeisterung kennt keine Grenzen: wie ich den vierfachen Triumph bei der Vierschanzentournee 2001/2002 erlebte und wie mich danach der allzu hohe Erwartungsdruck zu überfordern begann
Was für ein erhebender Moment. Mein Heimtrainer Wolfgang Steiert und der Bundestrainer Reinhard Heß schultern mich nach meinem Vierfach-Triumph.
Training – dieser populäre Begriff »steht allgemein für Prozesse, die eine verändernde Entwicklung hervorrufen« (Wikipedia). Das hört sich ziemlich sperrig an. Es ist aber so, dass Trainingseffekte nur dann entstehen, wenn du deinem Körper »Reize« zumutest. Daraufhin passt sich der Körper an und erreicht ein höheres Niveau. Im Lexikon liest sich das dann so: »Systematisches Training zielt also darauf ab, möglichst langfristig stabile Anpassungserscheinungen, d. h. Trainingseffekte zu erzielen.«
In der Praxis bedeutete Training bei mir wie bei anderen Athleten auch: Jeden Tag mindestens 45 Minuten laufen, um den Körper fit zu halten. Zwei-, dreimal in der Woche sollte ich ab in die Kraftkammer – um gezielt Muskulatur aufzubauen oder um an der Explosivkraft zu arbeiten. In der Sporthalle mit Übungen wie Hürdensprüngen oder auf dem Wackelbrett galt es, den Körper motorisch-koordinativ zu schulen. Und natürlich gehörte dazu, auf der Schanze durch Trainingssprünge das Grundniveau des technischen Ablaufs immer weiter zu verbessern.
TGK und UWV
Nun ist die Trainingsplanung und -steuerung im Leistungssport immer ein gut gehütetes Geheimnis. Auch bei unserem Bundestrainer Reinhard Heß war das so. Er wurde als Trainer international hoch geachtet und erlag viel zu früh (2007) einem Krebsleiden – im Alter von nur 62 Jahren. Für uns war Reinhard eine Vaterfigur, oft streng, manchmal cholerisch, aber immer geradlinig. Viele kannten ihn als »Mann mit dem Fähnchen«, der uns das Signal zum Absprung gab. Reinhard kam noch aus der alten DDR-Trainerschule, er arbeitete eng mit Sportwissenschaftlern zusammen, plante immer sehr systematisch und ließ sich nicht in die Karten schauen. Das Geheimnis seiner Erfolge versteckte er gerne hinter zwei Kürzeln: TGK und UWV.
Seine »trainingsmethodischen Grundkonzeptionen« (TGK) waren als eine Art Vierjahresplan jeweils auf den Höhepunkt Olympische Spiele (Olympiazyklus) ausgerichtet. Anders seine Trainingsplanung namens »unmittelbare Wettkampfvorbereitung« (UWV), sie fokussierte sich kurzfristiger – auf die jeweiligen Höhepunkte einer Saison (Vierschanzentournee, Weltmeisterschaft).
Für mich mussten im Februar 2001, ein Jahr nach meinem großen Erfolg bei der
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