Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
lösen.
Meine Zusammenarbeit mit dem Sportpsychologen Professor Eberspächer im Vorfeld der Saison 2001/2002, die dann so viel Erfolg brachte, habe ich immer geheim gehalten. Bis heute.
Pokerspiel in Oberstdorf
»Alle gegen Adam« – so lautete das Motto für den neuen Winter. Der Pole Adam Małysz galt als absoluter Überflieger, er hatte in der vorigen Saison elf Weltcupspringen gewonnen, dazu ganz überlegen die Gesamtwertung der Vierschanzentournee, den Gesamt-Weltcup und den Sommer-Grand-Prix. Er wurde Weltmeister. Und auch den Weltcupauftakt in Kuopio hatte er schon wieder gewonnen. In seiner Heimat war der leichtgewichtige Małysz (54 Kilo) inzwischen ein nationales Denkmal. Welcher Skispringer sollte ihn bei dieser Vierschanzentournee besiegen können? Er schien unschlagbar.
Doch es kam ganz anders.
Ich war jetzt 27 Jahre alt, war Skiflug-Weltmeister, hatte am Holmenkollen gewonnen, zählte zur Weltspitze – aber noch nie hatte ich so gute athletische Grundlagen wie in diesem November, zu Beginn der Saison 2001/2002. Ich fühlte mich bestens vorbereitet. Ich fühlte mich wohl in meiner Haut. Ich fühlte mich topfit. Ich wusste, dass ich mein »System« beisammen hatte, dass also meine Skier bestens präpariert, mein silberner Sprunganzug, mein Bindungssystem nach vielen Tests perfekt abgestimmt waren. Ich traute mir zu, zu pokern.
Ganz allein mit meinen Gedanken: die letzten Schritte vor dem zweiten Durchgang in Oberstdorf
In den Regeln steht, dass wir bei der Vierschanzentournee jeweils einen Wettkampftag haben und davor einen Trainingstag. Am Ende eines Trainingstags gibt es die Qualifikation, zu der aber die besten 15 des Weltcups nicht verpflichtet sind. Nach zwei sehr guten Trainingssprüngen ließ ich in der Qualifikation meinen Wertungsversuch aus und nahm damit ein Duell im K.-o.-Springen mit dem Besten der Qualifikation in Kauf – es war Andreas Widhölzl. Ich fühlte mich stark genug, um es mit dem härtesten Konkurrenten aufzunehmen. Vor allem aber wollte ich durch das Auslassen eines Sprungs meinen Akku schonen.
Eine gute Entscheidung. Ich gewann den ersten Wettbewerb in Oberstdorf mit zwei Sprüngen auf jeweils 122 Meter, vor Martin Höllwarth (Österreich) und Simon Ammann (Schweiz). Martin Schmitt, der in den vergangenen drei Jahren jeweils auf der Oberstdorfer Schattenbergschanze gesiegt hatte, wurde nur 19. Mein Siegsprung ließ 22.000 Zuschauer jubeln. »Ich weiß noch gar nicht, was abgeht« – das waren meine ersten Worte. Ich versuchte, den Moment zu genießen. Ich fühlte mich wie in einem Film.
Dieser fremde Zustand sollte sich auch die nächsten sieben Tage nicht mehr ändern. Vielleicht dokumentieren meine Antworten während der Pressekonferenzen nach den vier Wettkämpfen ganz gut, wie es um mich stand:
»Herr Hannawald, wie fühlt man sich als Auftaktsieger der 50. Vierschanzentournee?
Ich kann das alles noch nicht fassen. Ich habe da unten gestanden, die vielen jubelnden Menschen gesehen und war einfach nur überglücklich. Das ist mehr, als ich mir erträumt habe.
Wie nervös waren Sie nach der Führung im ersten Durchgang?
Ich war sehr nervös. Beim Flug habe ich auch einige Male gewackelt, aber momentan habe ich das Selbstbewusstsein, dass ich auch mit solchen Sprüngen ganz nach vorn springen kann.
Wie ordnen Sie diesen Sieg ein?
Das ist ein wahnsinnig schöner Erfolg. Ich würde das fast mit meinem Weltmeistertitel im Skifliegen gleichsetzen. Besonders toll war das Gefühl, vor heimischem Publikum solch einen Erfolg zu feiern. Die deutschen Schanzen liegen mir ja offensichtlich – in diesem Winter habe ich ja schon in Titisee-Neustadt gewonnen.
Träumen Sie nach solch einem Erfolg schon vom Tourneesieg?
Ich versuche, mich überhaupt nicht verrückt zu machen. Ich denke von Schanze zu Schanze, und mache mein Zeug. Aber wenn man jetzt schon den Tourneesieg im Kopf hat, kann man ihn sicher abschreiben.
Normalerweise sind Sie einer, der sich viel Druck macht.
Das ist richtig. Aber alle versuchen mir immer einzureden, dass ich selbstbewusster sein muss. Irgendwie scheint das zu fruchten, auch wenn ich mir nach wie vor tierisch Gedanken mache. Ich bekomme unwahrscheinlich viel mit, das ist eigentlich kein gutes Zeichen. Aber ich denke, dass ich in diesem Winter wesentlich stabiler geworden bin. Und im Notfall hilft manchmal auch ein Stück Schokolade oder Kuchen.«
Der erste Streich ist perfekt: ein Schrei der Erösung nach dem Auftaktspringen in
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