Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
stand nicht mehr über den Dingen, die über mich geschrieben wurden – ob wahr oder falsch. Heute, mit dem Abstand von fast zehn Jahren, kann ich die Irritationen und Spekulationen in den Medien von damals gut verstehen.
Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« schrieb: »Hohe Ansprüche, tiefer Fall: In Oberstdorf, beim ersten Springen der Vierschanzentournee, bleibt Hannawald neun Meter hinter dem Norweger Pettersen zurück; Platz 18. Am Ende der Tournee ist er Zwölfter, die Popularitätswerte sinken bei einer Umfrage von 85 auf 57 Prozent.«
Vor zwei Jahren noch gefeierter Jahrhundertsieger – und jetzt das. Ich war total enttäuscht. Enttäuscht? Ach was, ich war absolut deprimiert und frustriert. Woran hatte es gelegen, dass ich selbst auf meiner Lieblingsschanze in Bischofshofen nicht weit kam? Ich wusste es nicht. Mir fehlte jegliches Bewegungsgefühl. Bei den Sprungimitationen und im Training klappte es noch ganz gut, und im Wettkampf ging dann gar nichts mehr. Weil mein Körper nicht mehr wollte und nicht mehr konnte, konnte mir auch mein Mentalcoach Professor Eberspächer nicht mehr helfen.
Knapp zwei Wochen später in Zakopane ging es weiter abwärts: im ersten Springen Dreißigster, das zweite gab es gar nicht mehr für mich. In einem Interview versuchte ich zu erklären: »Ich habe irgendetwas verloren, aber keine Ahnung, was es ist.«
Ich fuhr heim in den Schwarzwald. Vier Wochen Wettkampfpause. Auch das Skifliegen in Oberstdorf ließ ich sausen. In Willingen schließlich erreichte ich nicht einmal den Finaldurchgang.
Eine Woche später, nach einem mäßigen Skifliegen in Planica, schrieb der Journalist der FAZ ziemlich treffend: »Er springt schlecht und wird zum Schweiger, dem nur schwer ein Kommentar zu entlocken ist. Frager läßt er einfach stehen und marschiert sturen Blickes an ihnen vorbei. Autogrammsuchende Fans ignoriert er. An einem Tag sitzt er auf dem Podium, antwortet kurz und knapp, verläßt vorzeitig den Raum, seine Körpersprache signalisiert allen: Laßt mich in Ruhe. Er wirkt unglücklich, deprimiert. So weckt er Muttergefühle und Beschützerinstinkt.
Und am anderen Tag kann er wieder der Sven Hannawald sein, der scheinbar überhaupt keine Probleme hat, der bereitwillig die ihm hingehaltenen Stücke Papier unterschreibt, die Kappen und Karten.«
Ich bin total ratlos
Ich fühlte mich hin- und hergerissen und meist wie gefangen. Ich suchte Gründe für mein Versagen, fand aber keine. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, man würde mein halbes Leben live übertragen. Jedes Hüsteln, jede Kniebeuge. Selbst wenn ich nur am Handschuh kaute, kam das in Zeitlupe. Und dann immer aufs Neue diese ungeduldigen Warum-, Wieso- und Weshalb-Reporterfragen und meine ratlosen Antworten:
»Warum war auch dieser Sprung so kurz?
Keine Ahnung, ich bin ratlos.
Wieso läuft es denn nicht?
Keine Ahnung, was los ist, keine Ahnung.
Eine Blockade?
Wenn ich das wüsste. Irgendwo klemmt’s.
Im Kopf?
Jedenfalls macht’s keinen Spaß.
Und was tun Sie, damit der Spaß zurückkommt?
Analysieren. Hoffen.«
Tatsächlich sah ich schon längst keine Perspektive mehr. Ich saß fest. Tief unten. In einem Loch.
»Drückt die Liebe Hannawald zu Boden?«
In einem großen Hannawald-Porträt versuchte der »Spiegel«-Redakteur Maik Großekathöfer meinen Absturz zu deuten: »Er war ein umschwärmtes Teenie-Idol, und er akzeptierte diese Rolle. Er ließ sich von Managern und Werbeleuten zum Popstar modellieren – und ging in dem neuen Image auf. Er trug plötzlich eine Menge Ringe an den Fingern, ließ sich die Haare wachsen und blonde Strähnen färben. Für die Medien war Hannawald, der den Fußballprofi David Beckham als sein Vorbild angibt, nicht mehr ›Hanni‹, sondern der ›Wintersport-Beckham‹.
So trat er bereitwillig in jene Kunstwelt, die andere für ihn kreiert hatten. Er tat, was man von ihm verlangte, und machte es doch niemandem recht. Weil er mit Ende 20 noch keine Freundin hatte, hieß es, er sei womöglich homosexuell. Dann präsentierte er vor gut einem Jahr der Öffentlichkeit die Stewardess Suska – doch auch das war irgendwie nicht richtig. Als er im Winter der Konkurrenz hoffnungslos hinterhersprang, rätselte die ›Bunte‹: ›Drückt ausgerechnet die Liebe Sven Hannawald zu Boden?‹«
Ich hatte sofort dieses Bamm-Gefühl
Nein, es war nicht die Liebe, die mir zu schaffen machte. Ich wusste einfach nicht, was mit mir los war. Aber dennoch stellte ich mir in dieser
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