Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
Vom Netzwerk:
General Post Office von den Briten aufgefordert wurden, den aussichtslosen Kampf einzustellen und sich zu ergeben, wurde ihnen geantwortet: »Wir sind hier, um zu sterben, nicht um zu gewinnen.« Und Patrick Pearse wird vor der Hinrichtung im Abschiedsbrief an seine Mutter schreiben: »Wir haben Irlands Ehre und unsere eigene gerettet.«
    Was hier zum Vorschein kommt, hat eine lange Tradition. Sie ist keltisch und geht zurück auf den mythischen Helden Cu Culainn, der nach ihr handelte. Wer in jenen Zeiten einen Feind bestrafen wollte, ging vor dessen Tür und hungerte sich zu Tode. Das gleiche Prinzip trieb die Rebellen des Osteraufstands: die Überwindung des Gegners durch die eigene Auslöschung, der Triumph in der Niederlage, der Sieg über die Sieger - durch Selbstopferung!
    Diese Haltung verknüpfte die Kirche früh geschickt mit der Kreuzigung Jesu und dessen gewaltsamem Ende, aber ihr Ursprung ist vorchristlich. Patrick Pearse identifizierte sein Blutopfer ausdrücklich mit Cu Culainn. Symbolisiert wird der Triumph in der Niederlage im Dubliner Hauptpostamt durch jenen zusammenbrechenden Jüngling, an dessen Sockel der Wortlaut der Unabhängigkeitserklärung vom 24. April 1916 in bronzenen Lettern eingeleitet wird mit dem Satz: »In jeder Generation hat das irische Volk sein Recht auf nationale Freiheit und Souveränität geltend gemacht - sechsmal während der vergangenen drei Jahrhunderte mit Waffengewalt.«
    Und viele Male davor schon. 28 Generationen insgesamt hat die Fremdherrschaft vom 12. Jahrhundert bis zur Proklamation des Freistaats 1922 gedauert, und volle 27 Generationen davon war der Kampf gegen die Unterdrücker ohne jede Aussicht, zur Unabhängigkeit mehr beitragen zu können, als sie vorzubereiten, nicht, sie auch zu erringen.
    Dieses aus dem Dunkel irischer Vorgeschichte stammende Weltbild ist gezeichnet von einer 700jährigen Erfahrung, Verlierer zu sein und dennoch nicht zugrunde zu gehen. Unter solchen Herrschafts- und Daseinsbedingungen konnte Selbstachtung nur durch Selbstopferung gewonnen werden - ein Mythos, der grundverwurzelt war in der gälisch-katholisch-nationalistischen Sippengesellschaft und es noch ist. Denn wie sehr auch immer die IRA ihn zur Rechtfertigung ihres Terrors instrumentalisiert, die Motive vieler Anhänger sind von der Irrationalität solcher Traditionen inspiriert worden.
    Alte Fotos von 1916 und aus den folgenden Jahren zeigen das General Post Office und die umliegenden Gebäude als Ruinen mit leeren Fensterhöhlen, Stätten trostloser Verwüstung, Tummelplatz britischer Soldaten mit geschultertem Gewehr in Herrenpose. Aber ebenso deutlich ist auf den vergilbten Aufnahmen zu erkennen, daß die Standbilder über dem Portikus nach wie vor aufragten, daß Hibernia, Merkur und Fidelitas den Beschuß überstanden hatten.
    Jetzt kann ich mir keinen prosaischeren Platz als meinen Standort gegenüber den sechs Säulen des Hauptpostamts vorstellen. Das rauscht und eilt massenhaft daran vorbei, als wollte Dublin sich in seiner dynamischen Geschäftigkeit von keiner anderen Metropole übertreffen lassen. Am Wochenende gar läßt der hohe Geräuschpegel der City zu keiner Stunde auch nur um ein Phon nach, auch zwischen zwei und fünf Uhr früh nicht, was ich als Gast des »Gresham Hotels« mit Vorderzimmer im ersten Stock leidvoll erfahren mußte, als die hauptstädtische Herbergssituation mir einmal keine andere Möglichkeit ließ.
    Nun aber scheint mir, als wenn niemand von den Tausenden von Menschen, die ich während der letzten Stunde von meinem Platz gegenüber dem General Post Office aus beobachten konnte, auch nur einen einzigen Gedanken an die historische Stätte da drüben verschwendet hätte.
    Und doch, bei all dem natürlichen Desinteresse, das das Alltagspublikum auf der O’Connell Street der Inflation ihrer hochmögenden Denkmalsriege zwischen dem »Befreier« und Parnell entgegenbringt (William Smith O’Brien, Sir John Grey, Father Matthew und manch anderer noch) - ich lasse mir nicht ausre-den, daß von dem düsteren Granitbau immer noch ein heimliches Fluidum, eine faszinierende Imagination ausgeht.
    Und es ist ein Dubliner von Geburt und langem Lokalstamm-baum, der mir das bestätigt.
     

The Book of Kells
     
    Neill S. könnte der Prototyp des Wikingers sein, Nachkomme jener räuberischen Nordmänner, die mehr als 200 Jahre lang die Insel verheerten, ehe ein seßhafter Teil auf ihr verblieb und sich mit den Kelten mischte.
    Groß ist Neill S.,

Weitere Kostenlose Bücher