Mein irisches Tagebuch
1919 gegen die britische Armee begonnenen und erfolgreich geführten Krieg schließt London im Juli 1921 einen Waffenstillstand und sieht sich zu Verhandlungen gezwungen.
Ihr Ergebnis ist die Teilung der Insel in 26 Grafschaften ( counties ), die den zu mehr als neunzig Prozent katholischen Freistaat Irland bilden, während 6 Grafschaften mit protestantischer Mehrheit, aber starker katholischer Minderheit als Nordirland im britischen Königreich bleiben.
Dazu war allerdings ein politischer Winkelzug nötig. Denn Ulster bestand ursprünglich nicht aus sechs, sondern aus neun Grafschaften. Da aber drei von ihnen mit etwa achtzig Prozent so große katholische Mehrheiten hatten, daß die demographische Vorherrschaft der Protestanten über Nordirland auf die Dauer nicht gesichert gewesen wäre, wurde kurzerhand auf diese counties verzichtet. Daher geht heute noch die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland mitten durch die Provinz Ulster.
Das Parlament des irischen Freistaates in Dublin, die Dail Eireann, ratifizierte zwar nach heftigen Debatten den Freistaatsvertrag mit Dominionstatus im Britischen Empire, das später in den Commonwealth umgewandelt wurde, aber nur mit der dünnen Mehrheit von 64 zu 57 Stimmen - die Gegner der Teilung Irlands waren fast genauso stark wie ihre Befürworter. So kommt es im Sommer 1922 zu einem Bürgerkrieg, der mehr als ein Jahr dauern, mit großer Härte geführt und die Irish Republican Army (IRA) gebären wird.
Und wieder fällt Dublins Innenstadt in Trümmer, wieder stehen ganze Quartiere in Flammen, aber diesmal durch die Granaten des irischen Freistaats, dessen reguläre Armee nun gegen die aufständischen Landsleute mit der gleichen Unbarmherzigkeit vorgeht wie zuvor die Briten: Innerhalb des ersten Halbjahrs ihrer Amtszeit läßt die neue Regierung 77 Menschen hinrichten.
In der Tat, »eine schreckliche Schönheit war geboren«. Nach elf Monaten müssen die Gegner der Teilung den bewaffneten Kampf aufgeben, doch das politische Klima wird auf lange Zeit verdorben sein.
Der Wandel zu einem über den Parteienstreit hinweg in nationaler Identität geeinten Staat ging nur zäh vor sich. Erst spät, 1948, legt Irland den Dominionstatus ab, verläßt im folgenden Jahr das britische Commonwealth und ruft die Republik aus. 1:955 wird Irland Mitglied der UNO, schließt 1966 einen Freihandelsvertrag mit Großbritannien ab und macht 1973, mit dem Beitritt in die damalige EWG, den ebenso ersehnten wie endgültigen Schritt nach »Europa«.
Wenngleich sich die Situation seit dem Bürgerkrieg unvergleichbar gewandelt hat, die aus ihm hervorgegangenen gegnerischen Anschauungsparteien - Fine Gael und Fianna Fail -prägen noch heute weitgehend das politische Leben der Republik Irland (wobei erfreulicherweise neue Strömungen - voran Labour und Grüne - neben sie getreten sind).
Die »irische Frage« aber schwelt weiter, die Spaltung der Insel ist geblieben - in eine katholische Republik von vier Millionen Einwohnern mit einer winzigen protestantischen Minderheit, und dem im Vereinigten Königreich verbliebenen Nordirland, dessen Bevölkerung von rund eineinhalb Millionen sich zusammensetzt aus 56 Prozent Protestanten und 44 Prozent Katholiken - das »andere Irland«.
Ihm wird in diesem Buch eine eigene, die letzte Rubrik gewidmet.
Die alte Lehre des Cu Culainn
Ein paar Schritte weg von der Statue des Charles Stewart Parnell auf der O’Connell Street, und ich stehe vor den sechs ionischen Säulen des General Post Office, des Hauptpostamts.
Oben die Standbilder der Hibernia, des Merkur und der Fi-delitas, unter dem hochmächtigen Portal der ununterbrochene Strom der Passanten, und auf der Straße Dublins Abgashorror.
Da stehe ich, das Taschentuch vor die Nase gehalten, und denke: Welch ein verkitschter Klassizismus, aber welch ein typisch irisches Geschichtsdenkmal auch!
Am Ausgang des Osteraufstandes, der hier am 24. April 1916 begonnen hat und bereits fünf Tage später zu Ende gewesen ist, konnte es für die Rebellen zu keiner Sekunde auch nur den geringsten Zweifel geben. Aber wer meinte, hier hätte nichts gewaltet als organisatorische Verwirrung und logistisches Unvermögen, der hätte von Irland und seiner Geschichte nichts begriffen.
Was die Väter des Aufstands hierhertrieb - James Conolly, Thomas J. Clarke, Sean Mac Diarnada, Thomas Mac Donagh, Patrick H. Pearse und ihre Mitkämpfer -, das kam aus dem tiefsten irischen Urgrund.
Als die Verteidiger des
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