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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Organisationen steht nicht mehr die nationale Selbstverwaltung in der britischen Union, sondern Irlands Unabhängigkeit. Wieder werden katholische Geheimbünde gegründet, wie die Fenians, Parteien wie die Irish Socialist Republican Party, Sinn Fein (Wir selbst), die Gälische Liga (Gaelic League), dazu Gewerkschaften mit den gleichen Forderungen, so James Larkins Irish Transport and General Workers Union.
    Dazu waren während und nach dem Großen Hunger in die USA ausgewanderte und dort reich gewordene Iren zu einem erheblichen politischen und finanziellen Machtfaktor geworden, der direkt in die irischen Geschicke eingriff (und das bis heute tut). Für sie alle galt nur ein Gesetz: der Austritt Irlands aus der Union, die Loslösung von England, Irlands Souveränität.
    Diesem Ziel kam der 1. August 1914 gerade zurecht. Der irische Dichter Sean O’Casey: »Der Weltkrieg breitet sich über Europa aus, und Irland freut sich über die Not seiner Feinde« -genauer wohl über die seines Hauptfeindes England.
    Als die Londoner Regierung schließlich unter dem Druck der Umstände (und angesichts von 50000 irischen Freiwilligen in den Reihen der britischen Armee) zähneknirschend nachgibt und Parnells alte Forderung nach der Home Rule Bill tatsächlich verabschiedet wird, ist es zu spät.
    Am 24. April 1916 bricht unter Führung von James Conolly der sogenannte Osteraufstand los. Die Führung der Rebellen verschanzt sich hinter Sandsäcken im General Post Office, dem Dubliner Hauptpostamt, macht sich gefechtsbereit und verliest dort als erste Kampfhandlung jene berühmte Erklärung, die als Charta der irischen Unabhängigkeit in die Geschichte eingegangen ist und deren Wortlaut mit dem Satz beginnt: »Wir erklären, daß das Recht des irischen Volkes auf die Verfügungsgewalt über Irland und auf ungehinderte Herrschaft über seine eigenen Geschicke unumschränkt und unveräußerlich ist.«
    Dann bringen die Aufrührer ihre Gewehre in Anschlag.
    Schlechter konnte ein Aufstand nicht vorbereitet sein. Die Rebellen waren untereinander zerstritten, die Dubliner Bürger von der Erhebung überrascht und zunächst keineswegs auf seiten der Aufständigen. Das britische Militär unter General Maxwell fackelte nicht lange. Zusammen mit den Bordgeschützen des Kanonenbootes »Helga« auf der Liffey legte britische Artillerie das Hauptpostamt und 179 andere Gebäude im Zentrum der Stadt in Schutt und Asche, eine Übermacht, der die Aufständischen fünf Tage lang trotzten, ehe sie kapitulierten.
    Es war von Anfang an das Unternehmen eines verlorenen Haufens, eines irischen Kamikazekommandos. Außer kleineren Aufständen in Galway und Wexford, gab es in der Provinz keinerlei Unterstützung, die Hoffnung auf Waffenlieferungen aus Deutschland hatte sich noch vor Ausbruch der Kämpfe zerschlagen, und mehr als 1200 Männer und Frauen konnten nie zusammengetrommelt werden. Vorbereitung und Ablauf des Osteraufstands mußten den Eindruck erwecken, als ob hier die Selbstmordkandidaten einer Gruppe politischer Abenteurer den Scheinversuch unternahmen, die Herrschaft einer der stärksten Militärmächte ihrer Zeit mit ein paar Flinten stürzen zu wollen.
    Die Rädelsführer wurden in das Dubliner Kilmainham-Gefängnis gebracht und zwölf von ihnen sofort standrechtlich hingerichtet (General Maxwell: »Shoot’ em!«), darunter James Conolly, der wegen seiner Verletzungen nicht stehen konnte und den das Erschießungspeloton deshalb auf einem Stuhl füsilierte. Wahllos wurden in ganz Irland Tausende verhaftet, in die Gefängnisse gesteckt oder nach England und Wales deportiert.
    Es war diese Brutalität der britischen Behörden, die die anfängliche Ablehnung des Osteraufstands in der öffentlichen Meinung rasch Umschlägen ließ in glühende Befürwortung, ja Mystifizierung. Die verspotteten Rebellen verwandelten sich sozusagen über Nacht in mythologische Helden, und William Butler Yeats schreibt in seinem berühmten Gedicht »Easter 1916«: »Alle sind verwandelt, ganz und gar, eine schreckliche Schönheit kam zur Welt.«
    Obwohl man sich den Sieg der Gegenseite nicht vollständiger vorstellen kann, wird der Osteraufstand 1916 doch zum entscheidenden Signal für die irische Unabhängigkeit, die Zäsur im nun aussichtslos gewordenen Kampf Großbritanniens, sich ganz Irland als Teil des Vereinigten Königreichs zu erhalten. Nach einem überwältigenden Sieg Sinn Feins bei den gesamtirischen Wahlen von 1918 und einem mit ländlicher Guerillataktik

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