Mein irisches Tagebuch
nichts zu groß oder zu gering, niemand ist zu alt oder zu jung, um etwas dafür zu tun. Bobby Sands.«
Der starb am x. Mai 1981 in einem britischen Gefängnis nach über sechzig Tagen Hungerstreik, als erster von neun mitstreikenden IRA-Häftlingen. Der Tod des letzten von ihnen wurde am 20. August 1981 registriert.
Ihre Porträts sind im Sinn Fein Center an die Wand gepinnt -ich sehe in ausnahmslos junge Gesichter. Der Sitz des politi-schen Arms der IRA an der Falls Road ist ein schmuckloses Büro, in das ich ohne weiteres eintreten kann.
Drei Männer und eine Frau, die sich darin zu schaffen machen, verhalten sich unaufdringlich, niemand versucht, mich zu agitieren. An den Wänden Bücherregale mit einschlägigen Werken des republikanischen Kampfes und Spruchbänder: »Entmilitarisierung und Entwaffnung der RUC jetzt!« - »Sinn Fein fordert Gleichbehandlung« - »Laßt die Tür zum Frieden unverschlossen«.
Vor dem Büro, am Bordstein, sind drei Steine aufgestellt. Aus Sicherheitsgründen? Als ich frage, bestätigt das einer der drei Männer, jung, mit Brille, in einem Hemd mit dem Aufdruck: »20 years time to go.«
Was bedeutet, daß die britische Armee zwei Jahrzehnte zu lange in Nordirland stationiert sei. Ja, bestätigt er dann, die Steine seien aus Sicherheitsgründen dahingestellt worden. Und dann erfahre ich, daß in diesem Büro 1992 drei Leute erschossen worden sind: Michael O’Dwyer, Paddy Lawgran und Pat McBride. »Der Mörder war ein Polizeioffizier. Er kam hier herein und begann sofort zu schießen. Sein Motiv: Er wollte Katholiken erschießen. Eine Stunde später tötete er sich selbst.«
Das wird mir von dem dürren Mann mit Brille scheinbar ohne Erregung berichtet, wie ein alltägliches Ereignis, das nicht zu besonderer Bewegung herausfordert. Aber ich sehe, daß sich die Finger seiner Hände verschränkt haben und aneinander reißen.
Dann zeigt er mir ein tiefes Loch in der Wand - hier hatte 1994 eine Rakete eingeschlagen. Und ein paar Tage nach dem cease-fire vom 31. August jenes Jahres hatte in der Nähe ein Auto geparkt und war hochgegangen mit einer Bombe, die schwere Sachschäden anrichtete. »Daraufhin haben wir da draußen die Steine hingesetzt.«
In einer Ecke des Raumes entdecke ich das Foto eines lächelnden jungen Mannes. »Der sitzt seit 1975 in einem südenglischen Gefängnis.« Daneben ist eine von Punkten übersäte Karte. »Das sind alle Polizei- und Militärstationen in Nordirland.«
Auf der Rückfahrt halte ich am Florence Place vor einem Gebäude, das wie eine Festung aussieht. Hinter massiven Gittern durchgerosteter, herunterhängender Stacheldraht, die Tore fest geschlossen, über dem achtsäuligen Portal eine weibliche Statue mit der Waage der Gerechtigkeit - der höchste GerichtshofNordirlands. Die Schalen da oben schaukeln leicht im Wind, wie der lose Stacheldraht hier unten.
Gegenüber, noch schauerlicher anzusehen, ein dunkler Steinklecks mitten in der Hauptstadt: langgezogen, die Staketen von trügerisch optimistischem Blau, dahinter eine Mauer aus Beton, unübersteigbar und mit ungeheuren Stacheldrahtverhauen bewehrt - das Belfaster Zentralgefangnis.
Das staffelt sich nach hinten und innen immer höher, wie die verschiedenen Verteidigungsebenen einer Wehrburg, und wird zu allem noch überragt von einem wolkenkratzerhohen Schornstein. Ob man will oder nicht, hier wollen einem, abgewandelt, die Höllenbeschreibungen aus Dantes »Götdicher Komödie« in den Kopf kommen: Ob Protestanten oder Katholiken, die ihr hier eintretet - laßt alle Hoffnung fahren...
Links vom Gerichtshof eine Barriere, die jede Parkmöglichkeit verbietet. Aber da will ohnehin keiner bleiben - ungerührt strömt der Alltagsverkehr der Belfaster rush-hour an dieser Variante von Skylla und Charybdis vorüber.
Niemand ist sich ähnlicher als Extremisten
Der Sekretär der protestantischen Ulster Unionist Party ist ein schwarzhaariger junger Mann, der sofort in das Gespräch einwilligt, als ich ihn in der Parteizentrale darum bitte. Wir verabreden uns im nahen Hotel »Europe«.
Wer in Stephen C. einen eifernden Funktionär seiner Oran-ge-Partei erwartet hätte, der sähe sich angenehm enttäuscht. Es werden zwei informative Stunden.
Er betritt das Foyer pünktlich durch die Drehtür, und wir setzen uns an die großen Fenster im ersten Stock neben der Bar. Stephen C. ist 25 Jahre alt, intelligent und sofort bei der Sache. Verblüffenderweise lautet sein erster Satz: »Terroristen
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