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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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paramiliärischer Organisationen des protestantischen Untergrunds, die sich hier unbeschadet ihrer Illegalität öffentlich bekennen können, darunter Orange Action Force und New Ulster Defenders.
    Am Bordstein parkt ein Wagen, hinter dessen geöffnetem Fenster auf dem Beifahrerplatz ein junger Mann sitzt, den ich, um ins Gespräch zu kommen, nach den einzelnen Organisationen und ihrem Sinn frage. Er macht mit der Linken eine horizontale Bewegung, als wollte er sagen: Sie sind alle gleich, streckt den Zeigefinger der rechten Hand aus, klickt den Daumen darüber wie einen schlagbereiten Abschußhahn und ruft: »Bumm, bumm!« Dann lacht er. Er ist 32 Jahre alt, hat drei Kinder, ist Protestant, fügt aber an, daß der abwesende Fahrer des Wagens Katholik sei, in der gleichen Firma arbeite und es zwischen ihnen nie Streit gegeben habe. »Trotzdem...«
    »Trotzdem?«
    »Schauen Sie, wenn man aufs Land fahrt, in die Ferien, in den Urlaub, da fragt kein Mensch, ob Sie Protestant sind oder Katholik«, er hält eine Weile inne und fährt dann fort: »Aber wenn man dann nach Belfast zurückkommt, ist das Problem wieder da.«
    Überall die Wimpel der Unionisten, auf dem Lanark Way, der Caledon Street und der Shankill Road, Herz des loyalistischen Belfast, an der Grenze zur Falls Road, Hauptstraße des katholischen Westens der Stadt.
    Hier, auf der baumlosen Straße zur bewimpelten Springfield Road hin, sind die hohen Metallzäune geblieben, stacheldrahtgekrönte Wellblechmauern mit gemeingefährlichen Spitzen - wer darüber zu klettern versucht, läuft Gefahr, sich aufzuspießen. Es sind Barrikaden wie im Krieg, mit Pforten, die verriegelt werden können. Auf dem Lanark Way, unter flatternden Wimpeln und einem Wald von Orange-Fahnen, stehen drei Frauen, schwatzen, lachen, stupsen sich - die Abgeschlossenheit, der kurze Blick auf den nächsten Zaun, die Durchlässe, die erst geöffnet werden müssen, all das ist nach so langer Zeit Normalität geworden, Gewohnheit, und aufzubrechen, wenn überhaupt, nur durch eine lange Friedenszeit. Wird sie kommen?
    War es nicht so, daß mir jedenfalls in der City die Menschen freier, unbeschwerter, weniger angespannt vorkamen? Daß die vielen Monate seit dem Waffenstillstand ihre Wirkung getan haben, Hoffnungen groß werden ließen, Erwartungen auf ein angstfreieres Dasein geweckt haben?
    In der Falls Road fällt es schwer, daran zu glauben.
    Auch hier mitten im katholischen Viertel, wie in Londonderry-Rosemount, nur höher, viel höher, eine Wachtzentrale. Kein Turm, sondern eine auf ein neunzehnstöckiges Hochhaus gesetzte umgitterte Zelle, in einem Dschungel von Masten und Antennen, und auf Feuerleitern bis oben zu erklettern. Nichts, was da unten passiert, kann den elektronischen Augen in der Höhe verborgen bleiben. Ist der martialische Guckinsland noch
    besetzt, oder hat es von dort oben einen Rückzug gegeben wie bei den Sperranlagen und Beobachtungsposten an den Grenzen zur Republik?
    Auch hier auf vielen freien Hausflächen des Viertels die Massengraffiti, nur ganz anders als in der Sandy Row, überraschend defensiv, ja romantisch: Kinder bei traditionellen irischen Spielen - »Gaelic games, part of our heritage« -, eine Frau, am Wasser sitzend, die Hände gespreizt, das Haar gesträhnt, vor einem Megalithgrab, »Queen of Eire«, und in der Luft eine Friedenstaube.
    An einer anderen Wand ein kleines Mädchen, schwarzhaarig, in rotem Rock und ländlicher Umgebung - »Gaeltacht«, altes, versunkenes, vorbritisches, gutes Irland. Das Ganze in Bonbonfarben, Agitprop, dem dramatischen Konflikt und seiner Wirklichkeit entzogen.
    Aber gleich daneben ist sie wieder da - ein großes Hochkreuz, Tafeln voller Namen, Getötete des Stadtviertels Falls: eine Gedenkstätte, enthüllt Osterdienstag 1976 durch Nora Conolly-O’Brian, Tochter von James Conolly, der die Unabhängigkeitsurkunde des Freistaats Irland 1922 unterzeichnet hat. Auf der Tafel wieder »In loving memory, died because of...«, die letzten Worte sind verdeckt durch Wachsblumen mit Schleifen in den Farben der Nationalisten und Republikaner.
    Neben dem Hochkreuz hält ein junger Vater ein Kleinkind auf dem Arm, wiegt es, läßt es an der Flasche saugen. Dahinter wieder ein Zaun.
    Gegensätze, die einen erschauern lassen.
    Auf der Falls Road prangt ein großes Plakat mit dem Bildnis eines jungen Mannes. Darunter steht, in der Übersetzung:
    »Jedes republikanische Mitglied, er oder sie, hat eine eigene Rolle zu spielen. Dabei ist

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