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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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aufzulehnen -die Selbstrechtfertigungs- und -Verteidigungsargumente der IRA überzeugen mich sowenig wie die der protestantischen Gewalttäter.
    Dennoch versuche ich, Paul O’Connors geradezu flehendes »Ohne Bomben hätte sich auf der anderen Seite gar nichts bewegt. Verstehst du?« zu begreifen, mime ich nicht den Richter, Begutachter oder Zensurverteiler, todtraurig und wie gelähmt über die furchtbarste aller Wahrheiten, nämlich daß die Weltgeschichte zahllose Beispiele für den Grund seiner Verzweiflung bereit hält. Und daß die Verantwortung dafür immer auf mehreren Schultern lastet.
    Wenn ich könnte, würde ich beten, daß sich das im Fall des Waffenstillstandes nicht abermals bestätigen wird.
     
    Gegen 24 Uhr höre ich unten auf der Straße immer noch Kinderstimmen, gemischt mit Hundegebell. Ich fühle mich in eine Stadt des europäischen Südens, ja, des Orients versetzt.
    Gegen drei Uhr früh wache ich auf, so langsam und gleitend, als hätte die ungeheure Stille mich geweckt. Nichts rührt sich drinnen und draußen, kein Geräusch ist zu hören. Ich horche hin, vernehme aber nichts als die eigene Stimme, die diese Überraschung in das Mikrophon spricht.
     
    An dieser Stelle der Niederschrift meines Buches trifft die unglaubliche Meldung ein, daß am Freitag, dem 9. Februar 1996, in den Docklands des Londoner Westens eine 250-Kilo-Bombe hochgegangen ist, die zwei Tote und viele Verletzte gefordert und schweren Schaden an Bürogebäuden angerichtet hat.
    Nachdem zunächst Sicherheitskreise nicht ausschlossen, daß der Anschlag von einer Splittergruppe der IRA gegen den Waffenstillstandsbeschluß der Zentrale vom 31. August 1994 verübt worden sei, hat sich diese Annahme als Irrtum herausgestellt.
    Heute, einen Tag später schon, hat sich die Irisch-Republikanische Armee zu dem Attentat bekannt.
    Die Erklärung beginnt mit den Worten:»Mit Widerwillen kündigt unsere Kommandoebene an, daß unser Waffenstillstand am 9. Februar um 18 Uhr beendet sein wird. « Und weiter: Die Verantwortung dafür trage die britische Regierung, ihre Unaufrichtigkeit habe die Möglichkeit, den Konflikt beizulegen, verspielt, Premier Major sich der Herausforderung nicht gewachsen gezeigt.
    An der Echtheit des Bekenntnisses kann es keine Zweifel geben. Der Text klingt authentisch wie die vereinbarten Codewörter zwischen der IRA und den Sicherheitsorganen bei Vorankündigungen von Anschlägen. Auch das konspirative Signum stimmte: »P. O’Neill.«
    Gerry Adams, der Vorsitzende von Sinn Fein, dem parteipolitischen Arm der irisch-republikanischen Bewegung, zeigte sich bestürzt und von dem Anschlag überrascht, ohne ihn, wie gefordert, zu verdammen. »Es würde den Anteil der britischen Regierung am Scheitern der bisherigen Friedensverhandlungen und der Aufhebung des Waffenstillstands unterschlagen«, soll Gerry Adams als Grund seiner Verweigerung genannt haben.
    Meine Gefühle, meine Enttäuschung, meine Befürchtungen kann ich nicht beschreiben. Bleibt nur eine Hoffnung: daß keine zweite Bombe folgt.
     

Die Vorwarnung in der Sandy Row
     
    Wiedersehen mit Belfast, mit dem Kuppelbau der City Hall, ihren großen und kleinen Säulen, der kalkigen Statue Queen Victorias davor; dem Treiben auf der Royal Avenue, den unvermeidlichen Fassaden von Marks & Spencer, der Bank of Ireland und dem Blick auf die nahen Hügel durch die Häuserschluchten der Grosvenor Road und der Divis Street.
    Und doch, nach so langer Zeit, fast fünfzehn Jahren, ergeht es mir in Belfast wie in Dublin - ich komme in eine andere Stadt. Fluidum und Atmosphäre scheinen mir verwandelt zu sein, jünger als in Erinnerung, die Textilien farbiger und die Bewegungen freier. Aber leider bezieht sich die Steigerung auch auf die Abgasschwaden der unzähligen Busse in der beengten Belfaster City -sie sind förmlich auf der Zunge zu schmecken.
    Tröstlicherweise jedoch ist die Disziplin an den Haltestellen die gleiche geblieben. Lange Schlangen, die sich verkleinern oder gesittet auflösen, wenn die Wagen der Linien 63, 39 und 55 heranrollen. Niemand drängelt oder versucht, andere zu übervorteilen.
    Es ist heiß. Auf dem Rasen vor der City Hall lagern meist junge Menschen, Studentinnen und Studenten der Universitätsstadt, einige im Badeanzug. Ein junges Paar knutscht sich halb hinein in einen öffentlichen Koitus - mit dem Puritanismus scheint es auch nicht mehr weit her zu sein. Überall Tauben, halsruckend und vertrauensvoll, bis auf die Exemplare, die von

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