Mein irisches Tagebuch
Werk aus den Wurzeln der eigenen Biographie, ihrer poetischen Verarbeitung, den Leuchtfarben seiner Sicht und der tiefen Verbundenheit mit Irlands wechselvoller Geschichte - in einem unverwechselbaren Ton. So stellt sich Seamus Heaney im Stil eines langsamen, aber stetigen Durchbruchs neben Yeats, Joyce, Beckett, so wird der Ire vom Mooshof zu einer »Stimme für die Welt«.
Viele Katholiken haben es ihm verübelt, daß er 1972, also drei Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs, Ulster verlassen hat und in die Republik übergesiedelt ist, erst nach Glanmore, dann, 1976, nach Dublin, wo Heaney noch heute wohnt. Dabei trifft ihn der Vorwurf, sich damit als in Nordirland geborener katholischer Schriftsteller seiner Verantwortung entzogen zu haben, zu Unrecht - was »Wintering out«, »Preoccupations« und »North« dokumentieren. Seamus Heaney hat nie im Elfenbeinturm »reiner Dichtkunst« gesessen, er hat darin auch nicht eine Sekunde verbracht. Ohne sich dichterisch ausschließlich auf den Konflikt beschränken zu lassen, hat dieser Werk und Leben des Seamus Heaney wesentlich mitbestimmt. Wer Motive und Habitus seiner Kritiker einmal genauer analysiert, wird bald feststellen können, daß sich unter ihnen nationalistische Eiferer wie auch religiöse Fanatiker tummeln, Positionen, die niemandem fremder sein könnten als diesem irischen Humanisten. Mit der sprachlosen Feindschaft von Katholiken und Protestanten im Land seiner Geburt hat Heaney nie etwas anfangen können, für irgendeinen Extremismus, gleich welcher Art, hat er nie zur Verfügung gestanden. So kann man sich auch Feinde machen.
Der uralte Streit, der immer ein religiös verbrämter Kampf zwischen sozial divergierenden Bevölkerungsgruppen war, hatte schon zu Zeiten des Mooshofes in Heaneys Leben hineingewirkt:
»Der Trommelschlag des Orange Order von Aughrim Hill läßt das Herz wachsam werden, wie ein Hase verhofft es. Denn war dies auch das Land der Gemeinschaft, so war es doch zugleich das Reich der Zwistigkeiten. Wie die Kaninchenpfoten, die im Zickzack über das Weideland hüpften und den weichen Zuwachs unter dem reifenden Korn untertunnelten, so folgten die Grenzlinien konfessionellen Widerstreits und Zugehörigkeits-gefühls den Grenzmarkierungen des Grund und Bodens«, so schreibt er über die Ära früher Kindheit.
Auf einmal tut sich rechts Blau auf, liegt er plötzlich da, der Lough Begh, in ziemlicher Entfernung von der Straße und getrennt von dieser durch unübersteigbare Zäune und Flächen, die mit Hunderten von äsenden und blökenden Wöllpunkten gesprenkelt sind. Aber ein großer Teil der Wasserfläche ist doch zu überblicken. Und da sehe ich endlich auch den Turm, den Kirchturm von Church Island: Die Spitze ragt aus Bäumen hervor, einem Wald von Bäumen, jedoch zu weit weg, um zu erkennen, ob es noch die alten Eiben sind. Auch werde ich nicht prüfen können, ob im Hof der Kirche von Church Island Mädesüß und Wiesenkerbel wieder schulterhoch stehen, der Jahreszeit nach sollten sie es. Doch hier gibt es kein Durchkommen, und so muß ich mich mit der Sicht von fern begnügen, froh schon, in der Region des Omphalos überhaupt etwas von Heaneyscher Poesie Beschriebenes entdeckt zu haben.
Hier scheint der Frieden der ganzen Welt versammelt zu sein.
Mir ist sterbensmatt und -elend zumute bei dem Gedanken, zurückkehren zu müssen, zur Aufgabe, die noch nicht beendet ist und bei deren Bewältigung noch einige schwierige Gänge bevorstehen.
So fahre ich denn, wie um die Ankunft in Belfast aufzuschieben, nicht die kürzere und schnellere Strecke über den schmalen Isthmus zwischen Lough Begh und dem Lough Neagh, sondern südlich um dieses größte Binnengewässer der Insel herum über Dungannon und Lurgan.
Dabei stoße ich hinter Castledawson, den Slieve Gallon zur Rechten, auf eines dieser Wahrzeichen des nordirischen Bürgerkriegs, einen sogenannten Checkpoint, und hoffe und wünsche inständig, daß er unbemannt ist, leer, geräumt wie vor einiger Zeit, als ich hier vorbeigekommen bin.
Und tatsächlich, großes Aufatmen, die Anlage ist verlassen, niemand hockt in dem Gebäude, die Stätte gammelt mit Rampe und ausgehebeltem Schlagbaum verlassen vor sich hin, Unkraut wächst, alles scheint hier zu verfallen.
Hoffentlich - und für immer!
Es ist wie eine Droge
Washington House, High Street 18, dritter Stock.
Die Tür mit dem Schild »Organisation Against Terror and Intimidation« (»Organisation gegen Terror und
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