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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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untadelig, werfen sie den rechten Arm so unermüdlich gegen die Brust wie am Vormittag. Wo sie vorbeiziehen, dröhnen die Trommeln, gellen die Pfeifen nicht weniger kraftvoll als vor neun Stunden und mehr.
    Plötzlich Grüße,Jubel, Hochrufe. Sie gelten einem Mann ohne Beine im Rollstuhl, den ich schon heute morgen im Zug gesehen habe - jede fremde Hilfe verschmähend, bewegte er sich mit den Händen an den Rädern selbst fort Jetzt, am Abend, biegt er mit den gleichen energischen Bewegungen vor der City Hall ab und verschwindet in den Donegall Place. Das letzte, was ich sehe, ist der Union Jack hinten an der Rückenlehne seines Rollstuhls.
     

Ich muß hier raus, raus aus Belfast
     
    Heute morgen dann die Nachricht: Die Orange-Leute von der Drumcree Church durften nun doch durch die Garvaghy Road nach Portadown hineinmarschieren - Paisley und Trimble hatten die Genehmigung erwirkt. Das kam eben übers Radio und den Bildschirm und hat einen Sturm der Entrüstung im katholischen Teil der Bevölkerung ausgelöst.
    Das Fernsehen zeigte zunächst gefährliche Szenen der letzten Tage - Hunderte von Bewohnern der Garvaghy Road im Sitzstreik, auf Töpfe und Behälter einschlagend; andere mit riesigen, von einer Straßenseite zur anderen gespannten Transparenten »RE-ROUTE SECTARIAN MARCHES« - also der Forderung, die Marschrouten umzulenken, weg von den katholischen Wohngebieten.
    Es hat aber auch Widerspruch aus den eigenen Reihen gegen Ian Paisley gegeben: Seine flammende Rhetorik habe den legitimen Protest unterlaufen und zu den anschließenden Gewalttaten aufgestachelt. Paisley wehrt sich gegen den Vorwurf, »kriegerische Töne« angeschlagen zu haben. Die Leute, die Steine geworfen und die Polizei angegriffen hätten, die hätten einen halben Kilometer von ihm entfernt gestanden und ihn gar nicht hören können.
    Der Mann lügt! - sage ich als Augenzeuge. Seine Worte über den Lautsprecher am Sperriegel von Drumcree Church, wie auch der Begeisterungssturm, den sie hervorgerufen haben, sie waren noch kilometerweit zu hören.
    Und da kommen auch schon die Bilder von gestern über den Schirm, da marschieren sie durch die Garvaghy Road, 500 Orange-Männer, Ian Paisley und David Trimble voran, in vollem Ornat, aber ohne Musik - die wenigstens war ihnen versagt worden.
    Mit steinernen Mienen starren sie geradeaus, vorbei an den Transparenten, auf denen vergebens die Umlenkung der Marschroute gefordert worden war, und vorbei an den Bewohnern, die zu beiden Seiten vor ihren Häusern stehen, die meisten schweigend, andere mit erhobenen Fäusten, alle geschockt, verletzt, von ohnmächtiger Wut geschüttelt.
    Das ist ein schlimmes Bild, keine Förderung der Friedensgespräche, kein Ausdruck von gutem Willen. Was da von protestantischer Seite kommt in diesem Jahr und unter der dünnen Haut einer gebrechlichen Waffenruhe, das ist absichtsvoll destruktiv, verbissen provokant und entmutigend unkooperativ. Ich bin vollgestopft mit den loyalistischen Argumenten für den 12. Juli, aber sie alle überzeugen mich in dieser Situation nicht, kein einziges.
     
    Die Nacht war ohne Schlaf, und das nicht nur wegen der angestauchten Rippen - es sind die Eindrücke des Tages, die ihn verhindern.
    Kraft und Trotz, Glaube und Verzweiflung unter den Orange-Leuten hat der 12. Juli sichtbar gemacht.
    Welchen Prozentsatz der protestantischen Bevölkerung Nordirlands repräsentiert der Orange-Orden? Unionisten und Loyalisten bilden keine monolithische Einheit. Viele stehen dem Orange-Orden skeptisch gegenüber, distanzieren sich von dem gestelzten Auftreten und sektiererischen Gebaren. Es ist von protestantischer Seite ernste Kritik an dem Orden als Führungskraft laut geworden: nicht durchs Megaphon, durch die Ratio müßten die Argumente gehen, las ich dieser Tage mit Stoßrichtung gegen Paisley und seine Anhänger. Der Friedensprozeß, so hieß es, sei zu weit vorangeschritten, als daß er gestoppt werden könnte, und er beruhe nicht nur auf dem Waffenstillstand, sondern auch auf der Überzeugung der Mehrheit, daß ein Wandel nötig sei.
    Ich liege da und denke: Ist der Friedensprozeß wirklich so weit vorangeschritten? Ich hatte das auch geglaubt, wie meiner Meinung nach die meisten Menschen, denen ich hier begegnet bin. Aber heute morgen sind Radio und Fernsehen wieder voll von Schreckensnachrichten und -bildern: Schändungen katholischer Friedhöfe, Anschläge auf protestantische Kirchen, auch auf die Drumcree Church, brennende Autos und Orange

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