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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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der meisten Denkmale, nämlich notorisch unbeachtet zu bleiben.
    In der Kirche glüht es elektrisch - Wachskerzen sind ausrangiert, und der technische Ersatz funktioniert sogar. Man muß ein Geldstück in einen Schlitz werfen und auf einen Knopf drücken, dann leuchtet es rot oder blau auf. Nach einiger Zeit erlöscht das Licht wieder.
    Davor kniet jetzt eine alte Frau, wirft eine Münze ein, bewegt die Lippen und schweigt dann mit geschlossenen Augen. So bleibt sie, lange nachdem das blaue Licht vor ihr ausgegangen ist. Blau ist auch die Statue der Muttergottes. In der einen Hand hält sie einen Goldstab, an den das Jesuskind faßt, das sie im anderen
    Arm trägt und das seinerseits eine Kugel mit Kreuz stützt, den Globus, obschon der bekanntlich weder völlig christianisiert war noch ist.
    Davor Blumen.
    Hier, in diesem Kirchentempel, ist Mäßigung gepriesen worden, irgendwie paradoxerweise, denn die sozialen Zustände im damaligen Irland hatten ohnehin den Charakter einer unfreiwilligen Kollektivaskese. Das Elend war einer der großen Gründe für jene Sucht, die Father Matthew so nachhaltig bekämpfte und so ergebnislos, weil seine Ursachen andauerten.
     
    Weithin zu sehen ist die Kirchturmspitze von Father Matthew’s Memorial Church auch von der Cook Street aus. Aber in diesem alten Viertel ist von Mäßigung oder Enthaltsamkeit keine Rede. Es liegen Uhren, Gold und Juwelen aus, und ein ungeheurer Lastwagen lädt in bauchigen Fässern Bier ab, Murphy’s Irish Stout. Das dauert lange, wobei das Fahrzeug noch den Zugang zu einer anderen belebten und vielbefahrenen Straße versperrt. Aber keiner regt sich auf, keiner hupt, alle warten geduldig, bis der Weg wieder frei wird.
    Eine junge Frau in einem langen Mantel und mit Haaren, die ihr Gesicht fast verdecken, holt eine Geige aus dem Kasten, schließt einen Verstärker an und beginnt talentiert zu spielen, irische Weisen, wobei sie sich in abgezirkelten Drehungen bewegt. Eine Mutter mit zwei Kindern ist die erste, die eine Münze in den Kasten wirft.
    In einem Wettbüro geht es akut um Pferderennen, die auf dem Monitor verfolgt werden können .Jemand schreibt ununterbrochen Zahlen auf eine Tafel und macht hinter Pferdenamen die Zeichen des neuesten Standes. Die Luft ist dick, in des Wortes buchstäblicher und übertragener Bedeutung. Alle gucken abwechselnd gebannt auf den Bildschirm und auf die Tafel. Wetterfeste Gestalten, etliche am Stock, aber auch sie von großer Ausdauer. Anwesend sind nur Männer. Einer läuft wie ein hungriger Tiger im Käfig auf und ab, schiebt sich zwischen die anderen, den Kopf eingezogen, und starrt auf den Fußboden, als furchte er von Bild und Tafel eine Katastrophe. Dann finish, Endspurt, Peitsche, Auslauf hinter der Ziellinie, die schmalen Hinterteile der Jockeys - Walsh Man heißt der Sieger. Im Wettbüro heisere Schreie des Triumphes und der Enttäuschung. Und schon geht’s weiter.
    Das genügt - raus.
    Die Verkehrsampeln von Cork sind blindenfreundlich. Sie geben einen Ton von sich, solange auf Grün geschaltet ist, und verstummen bei Rot. Die Passanten, die sehen können, warten allerdings meist nicht auf Grün, und das nicht nur in Cork.
     
    Im Foyer des Hotels »Metropol«, abends.
    An einem Nebentisch sitzen drei wohlondulierte Damen unter einem Gemälde von Venedig. Ich schätze alle drei in gleichem Alter, so um die sechzig. Sie haben meine Neugierde erregt, und deshalb beobachte ich sie seit einigen Tagen, dezent, hoffe ich, und so, daß sie davon nichts bemerkt haben. Was ich inzwischen herausbekam, ist, daß sie keine Gäste des Hotels sind, sondern Einwohnerinnen von Cork, die hier zweimal die Woche ihren Plausch halten.
    Sie tragen die frischen Farben eines unverwüstlichen Frauentypus, einer Gattung, die das kontinentale Europa nicht kennt. Da ist Englisches, ist Britisches im Spiel, nicht von der Abstammung, es sind Irinnen, aber vom Habitus her.
    Es ist ein Vergnügen, den dreien zuzuschauen.
    Sie sind auf die disziplinierteste Weise lebenslustig, stecken in adretten, ihrem Alter durchaus angepaßten Textilien, aber ohne auf einen distinguierten Schick zu verzichten.
    Und natürlich trinken sie Tee.
    Wach achten sie auf jede Bewegung und alle Personen in ihrer Umgebung, wobei sie auch mich im Auge hatten, wenngleich mit rasch schwindendem Interesse, da ich es sichtbar nicht erwiderte.
    Das stimmte selbstverständlich nicht, sondern entsprang einer Zurückhaltung, die mir geboten schien, um meine Beobachtungen

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