Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
Vom Netzwerk:
spüre ich, daß ich um diese urirische Institution nicht herumkommen werde, hier nicht und anderswo ebensowenig.
    Immerhin, der Bann ist gebrochen, und nach der freundlichen Annahme meines Bekenntnisses zu Limonade scheint eine innere Hemmschwelle überwunden.
    »Mind step« - »Vorsicht, Stufe« - mahnt ein Schild vor Verlassen des Pubs. Draußen, in Höhe des ersten Stocks, zwei Kandelaber, dazwischen »Dan Lowrey’s. Established 1897«.
    Ich gehe die Straße hinunter zur St. Patrick’s Bridge. Es ist nach 20 Uhr, viele Geschäfte sind noch geöffnet - die Pathologie deutscher Ladenschlußzeiten ist hier unbekannt.
    Von der Brücke, am rechten Ufer des North Channel, die erleuchtete Front von Dunnes Stores am Merchant’s Quay, während sich die angestrahlte Hinterfront des Hotels »Metropol« im ruhigen Wasser wie ein dauerbelichtetes Foto ausmacht.
    Cork liegt nicht an der See, aber über Cork Harbour und Lough Mahon im Strömungsgebiet ihrer Gezeiten.
    Der Wasserspiegel unter der Brücke liegt deutlich höher als vorhin.
     
    Der Aufstieg zu St. Ann’s Shandon ist beschwerlich und führt vorbei an ausgeschlachteten Gebäuden und leeren Fensterhöhlen. Aber mein schlechtes Gewissen drängt mich aufwärts zu diesem bisher ausgesparten Wahrzeichen von Cork - bei den Dreharbeiten war immer zuwenig Zeit dafür.
    Verblüffend der pepperpot genannte 36 Meter hohe Turm der Kirche. Wie ein dreifach ausgefahrenes Teleskop sieht er aus und ist berühmt wegen des Spiels seiner acht Glocken. Es heißt, gegen ein geringes Entgelt können auch Besucher sie zum Klingen bringen.
    Aber nicht heute, wie sich herausstellt. Das eine Pfund, das zu zahlen ist, wird für den Eintritt erhoben, die Kirche ist auch ein Museum. Bänke mit Samtkissen, an den Marmorwänden Namen Verstorbener, darunter häufig die Floskel »who departed this life«. Was wohl nichts anderes besagen soll, als daß der Tod kein Ende, sondern ein Anfang sei.
    Alte Bücher, darunter »Opera omnia«, printed 1647, und vergilbte Handschriften, eine walisische Bibel von 1718 - alles sicher unter Glas. Ein Gedenkstein, »In loving memory« für den 1934 verstorbenen Dr. Philipp George Lee, weil er über vierzigJahre treuer Besucher von St. Ann’s Shandon war. Er muß mit seinen Besuchen also 1894 begonnen haben.
    Ich dagegen breche den meinen ab, weil er untergeht in dem Lärm, den nahe dem Eingang ein einsamer Staubsauger macht, der zwar unbedient herumsteht, aber nicht abgestellt worden ist. Noch lauter ist das Geschnatter des weiblichen Personals, zwei Frauen, deren durchdringende Stimmen ohne Unterlaß durch den Kirchenraum hallen.
    So rette ich mich - Pflicht hin, Pflicht her - die Roman Street herunter und über die St.-Patrick’s-Brücke in Richtung Anderson’s Quay auf das Custom House zu, das Zollhaus am Zusammenfluß des Nordkanals mit dem Südkanal. Dort liegt er vor mir, der Hafen von Cork - Silos, häßliche Gebäude, Grauklötze, hohe Schornsteine. Doch da eine himmelblaue Brigg, weithin leuchtend mit ihren Groß-, Heck- und Bugsegeln, und der von Hamburg her vertraute Anblick an der Pier vertäuter Seeschiffe.
    Über den Union Quay zum George’s Quay am Südkanal. Alte Holzstege, verfaulte Balken, an denen abzulesen ist, daß die Flut noch drei Meter höher steigen kann; Boote, kieloben, Zeugen längst vergangener Hafentätigkeit.
    Auf der anderen Straßenseite reges Leben, die irre Front von Fitzpatrick’s second stand shop. Vor dem Schaufenster, draußen, alte Wagenräder, gammelige Pumpen, Transportfahrräder mit einem großen Korb über dem kleineren Vorderrad; Kochtöpfe, Kessel, Pflüge, Sämaschinen, Riesensägen, gewaltige Schöpflöffel - zu nichts mehr nütze, als angestaunt zu werden oder die Phantasie anzuregen, wie die Welt dieser Utensilien einst ausgesehen haben mag. Und hinter lebensgroßen Madonnenstatuen die modernsten Kühlschränke, Herde und Waschmaschinen unserer Zeit.
    Dazu irische Volksmusik aus einem unsichtbaren Lautsprecher.
    Über die Parliament-Bridge hinüber zu Father Matthew’s Memorial Church, Wirkungsstätte des »Apostels der Mäßigung« (1790-1856), der einen von vornherein aussichtslosen Kreuzzug gegen den irischen Alkoholismus führte. Dennoch wurde dem streitbaren Theobald Matthew am 10. Oktober 1861 von der Stadt ein Denkmal errichtet. Das hat seither zwar an der Ecke St. Patrick’s Bridge und Lavitt’s Quay erfolgreich allen Wettern getrotzt, ist aber trotzdem nicht verschont geblieben vom Schicksal

Weitere Kostenlose Bücher