Mein irisches Tagebuch
Bedürfnisse wollen befriedigt werden.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, nur spüre ich dennoch in mir einen leisen Stich, den Verlust einer mir noch bekannten Originalität, wie ich da vom Rande des offenen Cafés auf Stände und Auslagen hinunterschaue. Das alles ist, finde ich von hier oben, ein wenig zu sauber, zu ordentlich, zu abgepackt, zu - europäisch. Wenn man das sieht, in seiner Uniformität, dann könnte man sich auch woanders wähnen, in Antwerpen, in Stockholm oder irgendwo in Deutschland. Da nivelliert sich etwas, und das in erdteilhafter Dimension.
Völlig originell geblieben dagegen, aus der Gründerzeit stammend, Mittelpunkt einer lichten Rotunde im Parterre und ausgestattet mit der magischen Fähigkeit, die Betrachter erst gehörig zu erschrecken, dann aber herzhaft zu bestricken, ist hier allein der alte Springbrunnen!
Das tropft und leckt da unten nur so vor sich hin, rauscht hoch, fällt wieder zurück, begießt plätschernd metallene Wassertiere und Lotusblüten und läßt aus einem schweren Becken eiserne Pflanzen- und Blütenstelen hervorwachsen. Neben drei reiherähnlichen Vogelgeschöpfen am Rande strebt ein mächtiger Kelch aufwärts, aus dem noch ein zweiter wächst. Diesem wiederum entspringt etwas, das mit seinem Bukett schwingender Antennen ausschaut wie das Knollenhaupt eines extraterrestrischen Wesens, das abheben möchte, aber nicht kann. Ein antizipierter und aufs unschuldigste pervertierter Dali ist das, ein Kitsch längst jenseits von Gut und Böse, eine Mißgeburt von solcher Eindruckskraft, daß keine andere Wahl bleibt als die der sofortigen Kapitulation vor ihrer Scheußlichkeit.
Erwachsene bleiben davor wie angewurzelt stehen, Kinder werden von Eltern hochgehoben, patschen ins Wasser, jubeln und kreischen. Ich starre, wie vor zwanzig Jahren zum erstenmal, von hier oben wieder fasziniert auf das in seiner dumpfen Ehrlichkeit umwerfende Scheusal herab, und schmeiße, wie damals schon und wie es alle tun, ein paar Münzen in das Becken.
Das blinkt darin, meist kupferbraune Ein- und Zweipencestücke, aber auch helle Zehner, die glitzern wie silbrige Fischbäuche.
Die ganze Zeit über sind angenehme Klaviertöne zu vernehmen hier oben, etwas separiert, spielt ein weißhaarige Pianist all die weichen, sanften Melodien, die sich wohltuend abheben von dem gewalttätigen Sound der Rockbands. Es ist Musik, wie ich sie, hoffnungslos altmodisch, so gern höre, von Tommy Dorsey bis Glenn Miller, »Tea for two«, »Begin the Beguin«, »Some of these Days«, »Once in a while« oder »Two sleepy People«. Auch »The Best of Frank Sinatra and Carlos Jobim« dringt zu mir: »Wave«, »This happy Madness«, »Close to you«. Der Klavierspieler bedient die Tasten ohne Unterbrechung und ganz hingegeben, das Gegenteil von jenen Musikern, deren Spiel eigentlich nur der ersehnten Pause zustrebt. Er macht ein erstauntes Gesicht, als ich ihm applaudiere, freut sich und kommt später an meinen Tisch.
Am Abend dann im Dan Lowrey’s, Corks berühmtestem Pub, gleich neben dem Hotel »Metropol«.
Erste Eindrücke.
Dunkle Holztäfelung; Bänke an der Wand, mit Blumenmustern überzogen, gobelinhaft; hinter der Theke eine ausladende Phalanx auf dem Kopf stehender Flaschen; alte Petroleumlampen mit elektrischen Kerzen, nostalgische Werbeplakate, damals »Reklame« genannt - »Player’s navy cut cigarettes, mild and medium« auf einem Riesenspiegel. Vergilbte Guinness-Plakate, Postkarten längst vergangener Zeiten - »Good luck in your new job«. Daneben, zentral postiert, Blickfang für die Gäste, Trophäen von Pub-Wettbewerben, 1991,1992 und 1993 - »First price Dan Lowrey’s Tavern, 13 MacCurtain Street, Cork«.
Nach hinten, »Welcome« über dem Eingang, ein zweiter, kleinerer Raum. Flackernder Kamin; eine Wanduhr mit römischen Ziffern und rasch hin- und herschlagendem Pendel; auch hier Nostalgie-»Guinness, extra Stout, brewed in Dublin und London«, Reklame von einst, unaggressiv.
An der Theke sind alle Hocker besetzt, ich sehe nichts als Bier, helles und dunkles.
Zwei junge Frauen neben mir - die eine vor sich Cola, die andere Mineralwasser mit Zitrone - geben mir den Mut, nach einem Softdrink zu fragen. Zu meiner Beruhigung löst die Bestellung bei der Wirtin keine sichtbare Reaktion aus.
Es ist der erste Pub, den ich berüchtigter Nichtalkoholtrinker aufsuche. Während der Fernsehaufenthalte in Irland haben die Teammitglieder immer ohne mich gehen müssen. Diesmal, für das Buch,
Weitere Kostenlose Bücher