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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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ungestört fortsetzen zu können. Ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Kontaktfreudigkeit spüre ich, vielleicht zu Unrecht, eine deutliche innere Hemmung, ihnen meine geheimen Sympathien zu offenbaren, obwohl sie mir aus allen Nähten platzen. Ich fürchte, und das wahrscheinlich wieder gänzlich unbegründet, die Ablösung ihrer natürlichen »Primärhaltung« durch eine sekundäre, wenn ihr innerer Kreis aufgebrochen würde. Dabei hätte ich ihnen gern Fragen gestellt, befürchte aber, sie könnten sich von mir als Studienobjekte mißbraucht fühlen. Und daran stimmte ja auch einiges, denn ich bin ganz wild auf irische Sonderheiten und spezifische Charaktereigenschaften, und da hinein passen mir die drei nur zu gut. So blieb es also bei der heimlichen Liebe, die ihnen scheinbar unbeteiligt zusah und zuhörte, wie sie da am gleichen Platz unter dem Gemälde saßen, plauschten, Tee tranken und redeten, unbefangen, nicht laut, aber so, daß jeder hätte mithören können. Von ihren Männer und ihren Berufen, den Ehen ihrer Söhne und Töchter, der Gesundheit und Krankheit ihrer Enkelinnen und Enkel. Von der Präsidentin Mary Robinson (in den höchsten Tönen), von Taoiseach John Bruton, dem Ministerpräsidenten (weniger enthusiastisch), sowie von Kulturveranstaltungen in Cork, allerdings ausschließlich solchen, denen sie lieber fernbleiben wollten.
    Ich habe sie hartnäckig observiert, die drei wohlondulierten Damen im Foyer des Hotels »Metropol«, middle class , lebender Beweis, daß England nach wie vor nahe ist, und doch durch und durch irisch. Ich kenne ihre Namen nicht, aber die - wenn auch einseitige - Begegnung mit ihnen hat mich ermutigt, mich endlich an einen kleinen Katalog irischer Charakteristika zu wagen, ganz ohne Anspruch auf Vollständigkeit, auf Richtigkeit der Beurteilung und ohne absichtsvolle Auslese. Auch da, wo Kritik auftaucht, ist sie bestimmt von jenen Sympathien, die das subjektive Destillat meiner Verbindung zu diesem Land und seinen Menschen sind.
     

Kannste mir mal ’n Fünfer leihen?
     
    Nirgendwo auf der Welt gibt es Gesichter wie in Irland, es sei denn bei den emigrierten Iren.
    Dabei ist ein Hautrot im Spiel, das weder etwas mit Erröten noch mit dem reichlichen Genuß von Guinness zu tun hat. Sie blühen, diese irischen Gesichter, aber nicht im Sinn von »blühender Jugend«, sondern ganz unabhängig vom Alter. Was einem eben noch als Ausbund enormer Häßlichkeit erschien, kann sich urplötzlich in ein höchst angenehmes Antlitz verwandeln.
    Und dann die vielen schiefen, quasi verbogenen Gestalten. Ich schwöre, daß ich nirgendwo auf der Welt so viele krumme Leute gesehen habe wie hier. Aber man verfalle nicht dem Irrtum, sie für krank oder gebrechlich zu halten, das Gegenteil ist der Fall. Das wächst vielmehr aus einer kernigen Physis, über die auch abgetragene Hosen und Jacken an windschiefen Körpern nicht hinwegtäuschen können.
    Es gibt manches, was den unkundigen Fremden zunächst verschreckt, etwa die seltsame Art der Iren, dich anzuschauen, dabei ein Auge zuzukneifen und den Kopf zur Seite zu schnicken, ganz schnell und wie im Vorübergehen. Ich habe das zuerst für ein Zeichen des Mißfallens und der Ablehnung gehalten, während es in Wahrheit doch ein Gruß, ein Gegengruß oder gar der Ausdruck von Solidarisierung ist.
    Nirgends können Menschen so inbrünstig singen und so gelenkig tanzen wie hier - nur ein Volk mit einem tiefen Sinn für Trauer kann so fröhlich sein wie das irische.
    Es ist wahr, in diesem Land erhebt sich nichts leicht in die Lüfte, schwingt sich nichts schwerelos hoch - das Lebensgefühl ist vor allem identisch mit Wirklichkeit, und die haftet am irischen Boden. Immer aber sind, gleichberechtigt, auch Träume, Visionen, Phantasien mit im Spiel.
    Es gibt hier Haltungen, die auf dem Kontinent, in Deutschland mindestens befremdlich, wenn nicht gar undenkbar wären.
    Noel MacMahon und seine Frau Marian aus der Abbey Street Nr. 4 in Dublin haben im Lotto drei Millionen irische Pfund gewonnen, das sind umgerechnet etwa acht Millionen Mark. So steht es in der »Irish Times« mit vollem Namen und Adresse. Aber nicht nur das, es wird auch der Scheck gezeigt, und zwar das Original sowie eine vielfach vergrößerte Kopie, und beides kommt zusammen mit den lachenden Gewinnern auf den Bildschirm. So wird die Nation Zeuge, wie die MacMahons von zu Hause mit einer Luxuslimousine abgeholt werden, wie davor eine große Menge steht und wie aus ihr heraus

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