Mein irisches Tagebuch
weiterer Topos, was Menschen Menschen antun können - keine Phantasie vermag sich das auszumalen.
Vor 85 Jahren wurde hier der letzte Schlag getan, aber noch ist es so, als wenn es in der Höhle weiter klingt, hämmert und seufzt, als wenn La Grotta widerhallt von den Stoßgebeten, die abprallten an den gnadenlosen Wänden.
Wenn man nach draußen tritt, ist der Kontrast fast unerträglich. Ich gehe nach vorn, vorbei an den Blöcken, hin zur Steilkante. Rechts drüben Bolus Head und die nasse Flanke der Dingle Bay, links, unendlich, der offene Atlantik, und tief da unten, zu meinen Füßen gischtend, die Brandung an den Klippen von Beginish Island - ein Panorama, fur das die Höhlenmenschen von La Grotta begreiflicherweise so wenig Sinn haben konnten wie die Sklaven Roms für die Pracht des Marmors von Carrara oder für die blaue Herrlichkeit der Bucht von Neapolis.
Nachdem La Grotta, der Steinbruch auf Valentía Island, aufgegeben worden ist, 1911, dauert die britische Herrschaft über Irland bis zur Gründung des Freistaates 1921 noch ein Dezennium. Davor lagen 750 Jahre Fremdherrschaft.
Sie kam mit den Normannen, 1171.
Irlands Landpächtern geht es schlechter als Englands Betdern
Auf dem Wege nach Trim, County Meath, Provinz Leinster.
Die mächtigen Mauern, die Türme, ein Meer von Steinen, sind schon weit südlich des Boyne River von der R 158 zu erblicken - Trim Castle.
Ich nähere mich staunend. Selbst die leeren Fensterhöhlen, die bloßgelegten Gewölbe, die dunklen Verliese und die klobigen Mauerreste überliefern noch bis heute etwas von dem Anspruch eines unbändigen Herrscherwillens.
Der Keep, Mittelpunkt und Hauptbau der Burganlage - ein Steinquadrat von gebirgshaften Ausmaßen, mit dreieinhalb Meter dicken Mauern, durch Ecktürme verstärkt und einem vom Boyne gespeisten Wassergraben umschlossen: eine nie erstürmte, für ihre Zeit uneinnehmbare Festung von auch heute noch erdrückender Wucht.
Mit seiner Fläche von über einem Hektar ist Trim Castle die größte Burg, die in der Epoche normannischer Herrschaft über Irland je gebaut wurde.
Die begann im 12. Jahrhundert, und es waren Iren selbst, es waren die unablässigen Kämpfe ihrer längst christianisierten Mini-, Klein- und Hochkönige gegeneinander, der Dauerzwist rivalisierender Fürstenhäuser, die das Ende der gälischen Selbständigkeit heraufbeschworen.
Es hat einen Namen - Dermot Mac Murrough.
Zum Verständnis ein historischer Rückblick in gebotener Kürze.
Als Mac Murrough, Kleinkönig von Leinster, bei seinem Versuch, Hochkönig von Irland zu werden, 1166 die englische Krone um Hilfe bittet, schickt Heinrich II. den Earl ofPembroke, genannt »Strongbow« (Starker Bogen), auf die Insel. Der Earl und seine Söldner kamen aus einem England, das seit dem Sieg Wilhelms des Eroberers über die Angelsachsen in der Schlacht von Hastings 1066 unter normannischer Herrschaft stand.
Strongbows Schiffe landen am 11. Mai 1169 in der Bannow-Bucht bei Baginbun Head an der Südküste Irlands, die Vorhut
der Invasion. Den mit Eisenhelmen und Kettenhemden bewehrten Normannen ist es ein leichtes, den nur mit kurzen Äxten und Steinschleudern bewaffneten Männern Mac Murroughs eine schwere Niederlage beizubringen. Aber als das vollbracht ist, segelt der Earl of Pembroke mit seinen Mannen nicht an Englands Gestade zurück, sondern macht sich selbst zum König von Leinster, als Vasall Heinrichs II. Der setzt 1171 mit einem Ritterheer über, nimmt sämtlichen irischen Gebietern, King Strongbow eingeschlossen, den Treueid ab und ruft sich als »Lord of Ireland« aus. Erst da begreifen die Iren - die zunächst dachten, sie hätten nur einen neuen Hochkönig bekommen -, daß sie zu Untertanen der englischen Krone geworden waren.
Von nun an beginnt mit stetig wachsender Entrechtung der Unterworfenen jene Umverteilung der Macht- und Besitzverhältnisse, deren Muster bis in unser Jahrhundert andauern wird.
Es sind die Normannen, die das System des Großgrundbesitzes einführen, Feudalstrukturen, die bis dahin auf der Insel unbekannt waren, mit zentraler Verwaltung von Dublin aus und der Aufteilung des Landes in Bezirke. Im Gegensatz zu den Wikingern, deren Raubzüge zwar keinen Landstrich ausließen, deren Herrschaft jedoch auf Küstenregionen beschränkt blieb, erstreckt sich die normannische Hoheit mit Ausnahme einiger unwirtlicher Gegenden im Westen auf die ganze Insel. Die Verhältnisse von Herrschern und Beherrschten sind unzweideutig -
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