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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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paar Tropfen auf dem heißen Stein. Auch der britische Premier, Robert Peel, zeigte guten Willen: »Wieviel Diarrhöe, blutigen Ausfluß, Dysenterie muß ein Volk ertragen, bis man beschließt, ihm mit Nahrung zu helfen?« Das kostet ihn sein Amt, Ende 1845 muß er gehen.
    Auf seinem Posten blieb dagegen der Schatzmeister der Krone, Charles Trevelyan, der die Hungersnot öffentlich zu einer Strafe Gottes für ein undankbares und rebellisches Land erklärte und die Hilfsgelder herunterschraubte. Kein Wunder, daß staatliche Programme, von London ohnehin halbherzig organisiert, versagten. So wurden Hunderttausende mit kärglichem Lohn bei Straßenarbeiten beschäftigt, aber ohne daß die Pläne koordiniert wurden. Die Straßen führten ins Nichts oder in Gegenden, wo niemand eine Straße brauchte.
    Unter den vielen schrecklichen Folgen des Großen Hungers war eine der schrecklichsten die Einrichtung der workhouses, sogenannte Arbeitshäuser. 1838 durch das »Gesetz für die Armen« (Poor Law) als Unterkünfte für die Mittellosen, die Untersten der Unteren geschaffen, wurden die Arbeitshäuser nun zu Fluchtstätten für die Verhungernden, letzte Hoffnung verzweifelter Mütter und Väter, sich und ihre Kinder vielleicht doch noch zu retten.
    1848 gab es davon in Irland 123. Übriggeblieben sind nur einige Ruinen.
     
    Auf eine von ihnen stoße ich westlich von Cahirciveen, weit abseits der N 70 gelegen - das alte Bagham Workhouse.
    Der Weg dahin ist matschig und zu dieser Jahreszeit nur mit Gummistiefeln zu begehen. Dann wuchtet es düster vor mir auf, ein mächtiges, zweistöckiges Gebäude mit leeren Fensterhöhlen, efeuüberzogen, verlassen und immer noch irgendwie bedrohlich.
    Hier herrschte vor 150 Jahren ein gnadenloses Regiment für alle, die diese Schwelle überschritten. Die Familien wurden getrennt, die Männer von den Frauen und die Kinder von den Eltern. Niemand durfte das Haus ohne Erlaubnis verlassen, die kargen Mahlzeiten mußten schweigend eingenommen werden. Es gab drakonische Verordnungen gegen alles und jedes - gegen Fluchen, Alkohol, Faulheit, schlechtes Benehmen und Ungehorsam. Die Frauen mußten stricken, die Männer in Steinbrüchen arbeiten.
    Ich krieche durch ein Fenster in das leere Gebäude. Der Boden ist feucht, grün bedeckt, überall sprießt Gras aus dem verfallenen Gemäuer. Alte Balken, kein Dach, in der Luft Krähen, Dohlen, Tauben. Das strömt hier noch viel aus von der einstigen Trostlosigkeit und Öde, der Verzweiflung ganzer irischer Generationen, bis hinein in unser Jahrhundert. Denn erst das Ende der britischen Herrschaft über Irland 1921 bedeutete auch das Ende der workhouses.
    Die Periode des »Great Famine« aber war der Gipfel des Grauens in der Geschichte dieser Institution, die Berichte und die Stiche aus der damaligen Zeit lassen einem das Blut in den Adern gefrieren: vor den Toren Scharen von Müttern, die kaum die Kraft haben, ihre skeletthaften Kinder hochzuhalten, Massen Zusammengebrochener, formlose Menschenhaufen im Hungerdelirium und erbarmungslose Aufseher, die den Unglücklichen den Weg versperren, Eingedrungene hinausjagen und über die Insassen wie Leibeigene verfügen.
    Im dritten Hungerjahr kollabierte das Workhouse-System. Die Todesrate stieg drastisch und mit ihr die Zahl elternloser Kinder. Eine Statistik weist aus, daß von den 116 000 Personen, die 1847 in diesen Häusern lebten, 63 000 Kinder waren, die meisten von ihnen Waisen.
    Wie mag es damals hier im Bagham Workhouse zugegangen sein?
    Ich durchquere die Ruine, stolpere über ihren unebenen Grund - auf der anderen Seite dorniges Gebüsch, Morast, ein Holzgitter, das ich übersteige.
    Hier hält es niemand lange aus.
    In der Nähe, am Wege zurück nach Cahirciveen, liegt ein riesiges Feld von Grabsteinen, Hunderte, nein, Tausende, davon die meisten ohne Inschrift - hier wurden die Toten des Großen Hungers begraben, darunter auch die Leichen aus dem Bagham Workhouse. Es ist ein Meer von Steinen, kleinen und größeren, nackt, nichts als das Zeichen, daß hier ein Mensch begraben wurde, ohne Namen, ohne Herkunft, ohne Geburts- und Sterbedatum. Dazwischen, sauber und blumengeschmückt, vereinzelte Grabmäler unserer Zeit, mit Todesdaten aus den sechziger und siebziger Jahren.
    Gespenstisch - wer läßt die Seinen bestatten zwischen all diesen namenlosen Gräbern einer Periode grauenvollen Massensterbens?
    Hier hat vor 150 Jahren nur ein Gesetz gewaltet: die Toten rasch, mit dem geringsten Aufwand und

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