Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
Vom Netzwerk:
im damaligen Europa war so abhängig von einer Monokultur wie die irische. Wenn mit dieser Frucht etwas passierte, gab es nichts, was das Nahrungsdefizit hätte ausgleichen können.
    Knappheit an Kartoffeln hatte es mehrfach gegeben, so 1739 bis 1741, als eine Hungersnot Tausende dahinraffte, und dann noch viermal zwischen 1816 und 1831. Zwar wurden Hilfskomitees gegründet, aber es wurde keine Strategie zu einer umfassenden, überregionalen Bekämpfung von Hunger entwickelt.
    Am 13. September 1845 fragte »The Gardener’s Chronicle« prophetisch: »Wo wird Irland im Falle einer totalen Kartoffelfäulnis bleiben?«
    Einen Monat später, im Oktober 1845, schlägt sie zu, bricht mit dem Ausfall der Herbsternte über Irland eine Katastrophe herein, die alle bisherigen Hungersnöte zu einem bloßen Vorspiel machen und vier Jahre andauern wird.
    In die Annalen der irischen Geschichte ist sie eingegangen als The Great Famine - Der Große Hunger.
     

Die Sterbenden trugen die Toten
     
    Krankheitserreger war ein wahrscheinlich aus Südamerika über den Kontinent importierter schwammiger Pilz (fungal ), Fäule genannt oder Gifthauch (blight), vierzig Jahre, bevor ein wirksames Mittel gegen die Kartoffelpest gefunden wurde. Vom Wind überall in die Saatlöcher getragen, ließen ihre Sporen die keimende Frucht unter fürchterlichem Gestank schwarzverfarbt und ungenießbar zerfließen. Die Hoffnung, daß die Fäule regional beschränkt bleiben würde, wurde bald enttäuscht durch Schreckensnachrichten, die aus allen vier Himmelsrichtungen eintrafen - von Waterford bis Antrim, von Clare bis Meath. Und es handelte sich auch nicht um ein einmaliges Ereignis. Die nächste Ernte verfaulte im Boden wie die davor - der milde Winter 1845/46 hatte alle Keime überleben lassen.
    Erst wurden die Schweine und Hühner aufgegessen, dann Pferde, Esel, Hunde. Es wurde Jagd gemacht auf wilde Vögel, Füchse, Dachse, Frösche, schließlich blieben nur noch Brennesseln, Pilze, Wurzeln, Beeren.
    Als es gar nichts mehr zu essen gab, für Tausende, Hunderttausende, kam es zu Szenen, deren Entsetzen zahlreiche Augenzeugen bis in die letzten Einzelheiten geschildert haben.
    So wurde der Tod eines Vaters in einer Hütte außerhalb einer Ortschaft im County Clare nur dadurch bemerkt, daß die vor Hunger schreienden Kinder dorthin watschelten und sich beklagten: Der Vater würde nicht mehr mit ihnen sprechen.
    Aus Aranmore, County Donegal, berichtet die Augenzeugin Asenath Nicholson:
    »In der Ecke einer Hütte lag eine Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder, nahe beieinander und reglos. Der Mann war schon in beträchtlicher Zersetzung, die Mutter war als letzte gestorben, nach den Kindern. Sie hatte die Tür geschlossen - die allgemeine Sitte, wenn alle Hoffnungen erloschen waren. Dann verkroch man sich in die dunkelste Ecke, wo Passanten einen nicht sehen konnten, und starb.«
    Aus einem Bericht vom Februar 1847, County Cork:
    »18 000 Menschen sind nur noch zu Dreivierteln lebende Skelette. Niemals in meinem Leben habe ich solches Elend gesehen, noch konnte ich es mir vorstellen. Körper, von Ratten halb aufgefressen, Hunde, die erschossen werden mußten, weil sie Tote in Stücke rissen, jeden Tag.«
    Die Hungersnot zerstörte selbst die natürlichsten menschlichen Bindungen.
    Neben Läusen war eine ihrer Folgen ein epidemisch auftretendes und häufig tödlich verlaufendes Typhusfieber. Als der vierzehnjährige James Foley im County Sligo die Quarantäne überlebte, ließ sein Vater ihn nicht zurück ins Haus, da er fürchtete, die anderen Kinder würden angesteckt werden. So starb James Foley draußen in der Kälte vor der Tür des elterlichen Hauses.
    Reverend Meeham, ein langjähriger Augenzeuge, sagt über die Symptome des Hungertodes:
    »Die fatalste Auswirkung besteht darin, daß das Gesicht anschwillt und eine eigentümliche Umformung der Augen stattfindet - sie treten hervor und schließen sich. Auch die Zehen schwellen an. Die Menschen können nicht mehr richtig gehen, sie werden matt und gleichgültig gegenüber dem, was mit ihnen geschah. Sie starben auf den Straßen, unter den Bäumen, in den Gräben.«
    Im schlimmsten der Hungerjahre, 1848, kommt die Cholera dazu und rafft 36 000 Menschen hinweg.
    »Die Sterbenden trugen die Toten«, heißt es in einem Bericht.
    Der Beispiele hochherziger und praktischer Hilfsbereitschaft, aus Irland, England, dem europäischen Kontinent und anderen Erdteilen, waren Legion und doch nicht mehr als ein

Weitere Kostenlose Bücher