Mein irisches Tagebuch
10. Jahrhundert erweitert und in der ersten Hälfte des 19. im Stil eines französischen Schlosses ausgebaut, befindet sich der alte Herrensitz heute als eines der ersten (und teuersten) Hotels Europas im Besitz eines amerikanisch-irischen Konsortiums.
Es muß aber angemerkt werden, daß die Renovierung und Modernisierung Ashford Castles auf dem Standard internationaler Komforthotels weder seiner äußeren noch seiner inneren Originalität etwas zuleide getan haben.
Das Interieur - Holztäfelung und Gestühl, kostbare Vasen, Gemälde, schwere Vorhänge - ist ebenso erhalten geblieben wie die Kamine mit Elfenbein, der Billardraum, die Architektur der Treppen und der drei charakteristischen Stockwerke.
Zum See hin Rasen, Blumenbeete, das große Rund eines Springbrunnens. Über die Inseln und die Weite des Lough Corrib hinweg ist kein Gegenufer zu erkennen. Es weht heftig vom Wasser her.
Auch abends noch, als ich aus dem geöffneten Fenster meines Zimmers schaue: Von den grellen Lichtbündeln der Scheinwerfer angestrahlt, treibt der Wind die Fontäne des Springbrunnens hoch, zerstiebt sie in tausend Tropfen und benetzt damit fein, kaum spürbar, Hände und Gesicht. Nasse Schwaden wirbeln hoch, feuchte Schleier werden in immer neuen Variationen, Figuren, flüchtigen Gebilden von dem beleuchteten Brunnen aufwärts geschleudert, wie der Wind es befiehlt - ein fast unwirkliches Bild.
Als es aufhört zu regnen, steige ich die Außentreppe hinunter, trete auf den Rasen und drehe mich um, den See im Rücken. Da liegt es vor mir, Ashford Castle bei Cong, eine dunkle Front im Licht der Scheinwerfer, hochmütig, schweigend, steingewordene Geschichte von sieben Jahrhunderten.
Einen stärkeren Gegensatz der Lebensverhältnisse als den zwischen der protestantischen Oberschicht in ihren Herrenhäusern und dem Dasein der katholischen Landbevölkerung in ihren cottages kann man sich nicht vorstellen.
Das Diktionär weist das Wort aus als kleines Wohn-, Land- oder Bauernhaus.
Tatsächlich waren es Hütten aus Stein oder Torf, in denen Mensch und Vieh zusammen hausten, ohne Innen- und Außenanstrich, ohne Fenster, ohne Kamin - der Rauch zog durch jede Seitenöffnung oder durch das poröse Dach nach draußen ab. Es gab nichts, was gegen Hitze, Kälte, Wind schützte. Geschlafen wurde auf kniehohen Steinwällen, Lager von Stroh, Bettzeug war selten. Die Kindersterblichkeit war die höchste Europas - 200 von 1000. Es muß ein Leben gewesen sein ohne Licht, in beispielloser kultureller Verlassenheit, in einer sozialen Depression ohnegleichen.
Keinem gehörte das Land, auf dem er arbeitete. Die Pächter konnten zu jeder Stunde verjagt werden - wegen Zahlungsunfähigkeit oder weil der Landlord entschieden hatte, Ackerland in Schafweide zu verwandeln. Nur 28 Prozent der Bevölkerung konnten lesen und schreiben.
Es bleibt eines der großen historischen Wunder, daß sich unter der Decke dieser unvorstellbaren Alltagslast die emotionale Kraft der Iren nahezu unversehrt erhielt, daß Besucher im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder erstaunt und begeistert von der cheerfulness der irischen Landbevölkerung berichteten, ihrem Frohsinn und ihrer Heiterkeit, und von einer Gastfreundschaft, die um so generöser war, als je armseliger sich ihr Angebot entpuppte.
Doch bald tritt ein Ereignis ein, das diese Eigenschaften zerstören, ein neues, bis heute unvergessenes Kapitel in der Horrorgeschichte Irlands aufschlagen und die irische Gesellschaft auf grausame Weise dezimieren wird.
Das Agrarsystem des Pachtwuchers, der Recht- und Landlosigkeit funktionierte nur, weil die armen irischen Bauernfamilien ein Lebensmittel hatten, das es billig und reichlich gab - die Kartoffel. Sie war 1590 aus Amerika in Irland eingeführt worden, wuchs auf fast jedem Boden und bedurfte geringer Pflege. Die Saatkartoffel in ein Loch gelegt, und schon konnte drei Monate später ein vielfacher Ertrag geerntet werden. Der geringe Arbeitsaufwand war wichtig, weil die Landarbeiter den größten Teil ihrer Zeit dem Grundbesitzer widmen mußten.
Es war die vitaminreiche und reichlich zur Verfügung stehende Kartoffel, die entscheidend zum Wachstum der irischen Bevölkerung im ausgehenden 18. und dem frühen 19. Jahrhundert beigetragen hatte. Auch ein kleines Stück Land, eineinhalb acres, genügte, um eine Familie von einem halben Dutzend Köpfen zu ernähren, ein durchschnitdicher Erwachsener aß täglich zwölf bis fünfzehn Pfund Kartoffeln. Keine Bevölkerung
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