Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
Vom Netzwerk:
über dem Atlantik, am Horizont beruhigenderweise die drei Höcker - the bull, the cow, the calf, vorn rechts, wie ein hingelagertes Überkamel, die braunen Höcker von Puffin Island, und davor, wassergeboren, scharf gezackt, der Scherenschnitt der beiden Skelligs.
    Da klopft es auch schon pünktlich an der Tür - »Hello, my dear« -, Maureen kommt.
    Heute mit Mantel, Kapuze und festen Stiefeln - es geht zum Einkäufen nach Cahirciveen, zu Curran’s, wie immer. Sonst mit einer Nachbarin, heute mit mir.
    Als ich gestern spät zurückkam, fand ich auf dem Tisch eine Apfeltorte von Maureen vor. Jetzt, da ich mich dafür bedanken will, schlägt sie nach mir und ruft warnend: »Hopeless!« Das macht es mir wieder schwer, heute endlich zu tun, was ich mir schon so lange vorgenommen, aber nicht gewagt habe.
    Am Ortseingang setzt sie, wie immer, wenn sie an dem großen Supermarkt vorbeikommt, eine verächtliche Miene auf und wendet sich ostentativ der anderen Straßenseite zu. Dann fahre ich sie vor Curran’s, Cahirciveens Tante-Emma-Laden mit scheuer Andeutung von Selbstbedienung, Maureens Einkaufszentrum seit eh und je.
    An der Fleischtheke Mr. Curran, ein rosiger Ire, hinter dem Tresen, auf dem die Kasse steht, Mrs. Curran, eine zierliche, weißbekittelte Frau, die nicht spricht, sondern ihr Englisch zwitschert. Das hört sich originell an, ist aber schwer zu verstehen.
    Die Kommunikation nimmt mir Maureen ab. Während sie einkauft, palavert sie mit den Currans, immer wieder beidseitig unterbrochen von Zwischenrufen wie »My Darling« oder »O Darling!« Als sie dann ihre beiden hochbepackten Taschen auf den Tresen stellt, nehme ich mir ein Herz und sage, als sie zahlen will: »Bitte, Maureen, laß das heute mal mich machen.«
    Sie stutzt, wobei eine seltsame Veränderung mit ihr vorgeht. Sie richtet sich auf, biegt den Oberkörper nach hinten, legt den Kopf zurück und schaut mich an. Schaut mich so an, daß es keinen Zweifel geben kann, warum: Sie will hinter mein Motiv kommen. Was waltet da - ein Almosenspender, joviales Gebertum, die herablassende Geste vom Wohlbetuchten? Oder Wärme, Freundschaft, die Freude, ihr eine Freude zu machen? Das will Maureen Griffin nach meinem Angebot nun wissen, und deshalb schaut sie mich so an, wie sie es tut, ziemlich lange, will mir scheinen - mir bleibt nichts übrig, als standzuhalten. Dann, endlich, fallt sie wieder nach vorne in ihre gewohnte Schräge und legt dabei behutsam ihre rechte Hand auf meine linke - akzeptiert.
    Der Stein, der mir vom Herzen fällt, muß weit zu hören gewesen sein.
     
    Der Waffenstillstand - cease-fire - vom 31. August 1994 in Nordirland hat bisher gehalten, jedenfalls was Bombenanschläge betrifft.
    Dennoch hat der Konflikt gestern, am 9. April, ein neues Opfer gefordert, das 3284. seit Ausbruch der troubles im August 1969. Im South Tyrone Hospital, Dungannon, Country Tyrone, starb Constable Jim Seymour, 56. Im Mai 1973, er war 34, hatte ihn eine Kugel aus dem Lauf eines IRA-Mannes am Kopf getroffen. Seit damals konnte der Polizist von der Royal Ulster Constabulary (Rue) weder sprechen noch sich bewegen, noch essen - er wurde künstlich ernährt.
    Gehör und Augenlicht waren unbeschädigt geblieben, so daß Jim Seymour wußte, was um ihn herum vorging. Aber mitteilen konnte er sich nicht, außer, daß er gelegentlich lächelte oder weinte. Hoffnung auf Besserung oder gar Behebung seines Zustandes hatte es zu keiner Zeit gegeben.
    Seine Frau hat ihren gelähmten Mann während der ganzen 264 Monate jeden zweiten Tag besucht. Wenige Stunden, bevor er starb, war sie bei ihm mit der Tochter und dem Sohn.
    Mit seinen Kindern hat der Vater niemals ein Wort wechseln können, sie waren zu klein dazu, als Jim Seymours aktives Leben ausgelöscht wurde - vor 22 Jahren.
     

Irische Skizzen
     
    »Ennistymon 7 km«, dann die See - die Cliffs of Moher.
    Steil fallen die Felsen aus Basalt und Granit in den Atlantik, 200 Meter tief und mehr, langgestreckt nach Norden auf O’Brien’s Tower zu. Unten die Brandung, weißlich, in der schwarzen Wand unzählige helle Flecke, Vögel, zu Tausenden, ganze Kolonien - Tordalken, Papageientaucher, Möwen. Die riesige, dunkelgefiederte black backed gull, die kleinere Heringsmöwe, die kesse Kittiwake, sie alle kreisen ohne jeden Flügelschlag im ewigen Westwind. Der bläst das Wasser aus den kleinen Fällen am oberen Rand zurück, pustet es einfach gegen alle Gesetze der Schwerkraft wieder hoch, Myriaden silbern sprühender

Weitere Kostenlose Bücher