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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Tropfen, die aufs Land zurückgeschleudert werden, manchmal in dichten Schwaden, manchmal vereinzelt.
    Schründig sind die Kliffs von Moher, ihre geologischen Schichten horizontal aufgeschlagen wie ein Buch der Erdgeschichte, durchlöchert und durchstochen von Zeit und Sturm und Salz. Seit 300 Millionen Jahren steilen sie hier auf, über Äonen gewärmt von tropischen Meeren, dann wieder attackiert von den Wettern endloser Kälteperioden, in den Fugen und Brüchen regendurchsickert. Wie lange hat es gedauert, bis die Brandung die Felszacken da unten von der großen Kante losgeschlagen hat?
    Bis in die zwanziger Jahre haben die Cliffs of Moher als Steinbruch gedient, für Kirchen und Straßen in Dublin. 500 Menschen sollen hier gearbeitet haben - es muß ein ungeheurer Lärm gewesen sein.
    Auch wurden, auf sehr gefährliche Weise, Vögel gefangen und ihre Eier gesammelt - ein Mann, gehalten von einem Dutzend anderer, ließ sich an den Kliffs bis zu den Nestern hinab und wurde dann mit seiner Beute hochgezogen.
    Bis zum Zweiten Weltkrieg konnte am Kliff noch ein zweiter wagemutiger »Sport« ausgeübt werden, nämlich sich von der Sandsteinplattform abseilen zu lassen, was kaum sechzig Sekunden dauerte, um dann von da unten, ein Wettrennen mit der auflaufenden Flut, hochzuklettern, wozu fünfundvierzig Minuten benötigt wurden.
    Das alles ist zwar längst verboten, aber ausgestorben ist damit die Gattung tollkühner Menschen nicht.
    Ich gehe auf völlig vermatschten Wegen an die Kliffkante, wo es einen schmalen, aber festen Pfad gibt, und stehe vor einer Brustwehr aufgerichteter Steine, hinter denen der Abgrund gähnt. Da kommt strammen Schrittes ein junger Mann heran, wägt einen Augenblick ab, ob er an mir vorbei in die schmierseifenähnliche Matschsoße neben dem engen Pfad treten soll, entscheidet sich dann aber anders: Mit einem Sprung ist er auf der steinernen Brustwehr, balanciert 200 Meter über der Tiefe auf der schmalen Kante und springt von dort zurück auf den Weg. »Death is so permanent«, versuche ich mit gestocktem Atem und halb gelähmter Zunge zu scherzen. Aber der verwegene Typ lacht nur und eilt weiter.
    Ganz in der Ferne, verschwommen, die Silhouetten der Aran Islands.
    Dahin später.
     
    In Clifden, Connemara, gibt es keinen Hinweis auf die große Kaskade, aber ich finde das Gefälle doch. Etwas außerhalb, unter einer dreibögigen, vermoosten, uralten Brücke donnert der Owenglin der nahen Bay zu. Laut wie der Niagara, von den Felsen im Flußbett zerspalten und von gelben Büschen an den Ufern gesäumt, schießt das Wasser tosend durch eine enge Schlucht dreißig Meter tief hinab.
    Weiter auf der N 59.
    Torflandschaften, braune Sumpfflächen, dann und wann ein einsames Haus, die ganze Gegend wie entvölkert. Und verhüllt -die Twelve Pins (auch Twelve Bens genannt), Connemaras bizarres Gipfelensemble, haben sich ungnädig hinter Wolken zurückgezogen. Wer ihres erhabenen Anblicks wegen gekommen wäre, der hätte heute kein Glück. Nur der Dawros, der den Höhen entspringt und schäumend, als wenn er glüht, der Ballynakill Bay zufließt, zeugt von den im grauen Himmelssud verborgenen »Zwölf Nadeln«.
    Aber dann, kurz hinter Letterfrack, plötzlich Wasser, ein See, und drüben am Ufer, wie eine Erscheinung, eine Art Märchenschloß, das durch die Bäume schimmert, leuchtet, glänzt, mit Zinnen und Türmen, Erkern und Portalen - Kylemore Abbey. Ein viktorianischer Bau im Tudor-Stil, von einem wohlhabenden englischen Kaufmann im 19. Jahrhundert am Kylemore Lough errichtet. Das sieht aus, so befremdend und so unnahbar, als müsse man sich auf Zehenspitzen nähern.
    Die Abtei liegt an einem Berghang, die Front dem See zugekehrt, der sich weit streckt und auf dessen Oberfläche sich die Gebäude sanft flirrend widerspiegeln. Es ist die seltsame Fusion von Natur und Architektur, eingebettet zwischen Gebirge und Wasser, die frappiert.
    Ein großer Vorplatz, dessen Mauer zum See herabfällt, und von hier erst sehe ich hoch oben auf dem Berg, mitten in die Wildnis gestellt, hell schimmernd und nicht am Kreuz, sondern mit weit ausgebreiteten, segnenden Armen: Jesus.
    Mag die Gestalt von unten auch klein wirken, sie muß dennoch kolossale Ausmaße haben, da sie in so großer Entfernung noch gut zu erkennen ist.
    Aufgestellt worden ist die Statue da oben vom irischen Benediktinerorden, dem die in eine Mädchenschule verwandelte Kylemore-Abtei seit langem gehört.
    Auch hier verstört mich wieder, wie bei

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