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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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»People of Ireland, fellow-country men«: »Übt keine Gewalt, vergreift Euch an niemandem, verletzt niemanden. Nichts würde mir weher tun als das. Geht den konstitutionellen, nicht den revolutionären Weg der Befreiung.«
    Zwei Pistolen unter Glas künden von einem dunklen, nie verwundenen Kapitel dieser Biographie - von einem Duell mit tödlichem Ausgang, ausgetragen am 31. Januar 1815. O’Connell war gefordert worden, nachdem er die Haltung einer katholischen Korporation in Dublin als »betderhaft« bezeichnet hatte. Er blieb unverletzt, sein Kontrahent, dessen Name mit D’Estaire überliefert ist, starb an der Schußverwundung. Der Sieger hat diesen Tag sein Leben lang bereut, und es ist wahrscheinlich, daß D’Estaires Todesstunde die Ursache war für die tief verwurzelte und immer wieder bekundete Abneigung Daniel O’Connells gegen jede Form von physischer Gewalt.
    Vom oberen Stockwerk aus fällt der Blick auf den tiefen Einschnitt des Atlantik, bis vorn an den Sandstrand; hinten steindurchsetzte Höhenzüge, die sich nach Süden hin, gegen die Spitze von Lamb’s Head, abflachen.
    In einem Extraraum die Kutsche, mit der er 1843 vom Richmond Prison nach Dublin geholt wurde - ein kolossales Fuhrwerk, blau, goldstrotzend, mit mannshohen Rädern, ein Vehikel aus Tausendundeiner Nacht, von der trotzigen Unschuld hemmungsloser Begeisterung konstruiert. Und ganz obendrauf, gefährlich schaukelnd und höchst ungemütlich, der Thronsessel, auf dem der schwere Mann die lange Strecke gehockt und - gebangt haben muß (nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn die Pferde durchgegangen wären).
    Im Park die Ruine des Sommerhauses, mit der Rückwand an einen Fels gelehnt, der Turm aus Naturstein gemauert, vermörtelt und darüber rauher Putz. Davor ein Baummonument, aus dem andere Bäume hervorwachsen, moos- und flechtenbedeckt, daneben eine Kamelie mit roten Blüten auf dem grünen Lack ihrer Blätter. In diesem naturbelassenen Park liegt das Haus wie ein verwunschenes Juwel, ein Refugium, in das kein Ungebetener kam.
    Ein Gebetener war der frühe Irland-Fan und deutsche Globetrotter Fürst Pückler-Muskau, wenngleich O’Connell ihn gewarnt hatte - der Weg nach Derrynane sei äußerst beschwerlich. Das war er dann auch, aber schließlich traf Pückler ein und hat danach manches geschrieben über seinen nichtadligen Gastgeber (»Wahrlich kein gemeiner Mann, wenngleich der Mann des Volkes«). O’Connell könne, wenn er wolle, so Pückler weiter, »von einem Ende der Insel zum anderen die Fahne der Empörung aufpflanzen«, tue es aber nicht, weil er sich »auf merkwürdige Weise, im Angesicht der Regierung und auf gesetzlichem, offenkundigem Wege« über die Nation Macht verschafft habe, »welche ohne Armee und Waffen dennoch der eines Königs gleicht«.
    Kritischerweise jedoch entdeckt Pückler an dem großen Mann dann auch Eigenschaften (dies allerdings in der zugegebenen Widerspiegelung des eigenen fürstlichen Charakters), die den Heros vermenschlichen, so O’Connells ununterdrückbare Eitelkeit, das Baden in der eigenen Größe, seinen Hang zum Theatralischen.
    Wie tröstlich.
    Gestorben ist O’Connell nicht in Derrynane. Er hatte sich von seinen Ärzten überreden lassen, eine Pilgerfahrt nach Rom zu machen. Unterwegs auf der Reise starb er am 15. Mai 1847 in Genua. Sein Herz kam nach Rom, sein Körper in ein für ihn errichtetes Mausoleum auf dem Dubliner Glesnevin-Friedhof.
    In der Geschichte Irlands hat bis heute keiner tiefere Spuren hinterlassen als Daniel O’Connell.
     

Mein irisches Tagebuch III
     
    10. April.
    Gegen drei Uhr früh hatte der Wind das Haus am Kliff so heftig geschüttelt, daß ich fürchtete, das Dach würde weggetragen oder das große Verandafenster eingedrückt werden.
    Oben der Mond, an diesem Himmel Westeuropas schon in Dreiviertelgestalt so weißglühend wie der volle über dem Kontinent. Da hängt er über der St. Finan’s Bay wie eine ungeheure Nachtlaterne.
    Über der See aber liegt Dunst, kein Licht ist zu sehen - weder der eben über dem Wasser dahinhuschende Schein vom Großen Skellig noch das kreisende, alle sechzehn Sekunden aufzuckende Leuchtfeuer auf dem bull, noch die schaukelnden Glühwürmer an den Mastspitzen der Fischerboote.
    Morgens dann schlägt es an die Scheiben, halb Schnee, halb Hagelkorn. An den dunklen Klippen der Bucht bricht sich die Dünung in immer höher schäumenden Kaskaden, und die Berge sind weiß.
    Gegen neun Uhr gleißende Sonne

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