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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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europäischen Ländern existiere im eigenen nur deshalb nicht, weil es an der nötigen Objekt- beziehungsweise Subjektmasse fehle. Da, wo ihr Ersatz in Erscheinung trete, eben in Gestalt der travellers , tauche sofort auch schon das Problem auf, ein Vorgeschmack auf Konflikte, die entstehen würden, falls aus dem Irland des Auswanderungszwangs für eigene Bürger ein Einwanderungsland für Fremde werden würde.
    Also: Wie stark ist die Gegenkraft zu dem Demonstrationstypus von Moate und dem Erfinder des »inferior people«? Und wird sie, im Fall eines Falles, stärker sein?
    Das ist die zweite Frage, die sich mir stellt. Nicht ohne Beklemmung, wie ich gestehe, da ihre Antwort mein Irlandbild zwar nicht aufheben, wohl aber versehren könnte.
    Dabei würde ich es mir doch nur allzu gern erhalten.
     

Mein irisches Tagebuch V
     
    2. Mai.
    Auf dem Weg nach Drumcliffe, zum Grab von William Butler Yeats, County Sligo.
    Ich nehme von Ropefield nicht die kürzere Strecke über die Hauptstraße, sondern biege bei Carrowmore zum Lough Gill ab, um auf Nebenpfaden zum Wasserfall von Glencar und von dort weiter nach Drumcliffe zu kommen.
    Vor Glencar dann ein Schild - »Yeats Country«.
    Ich mache einen Abstecher hoch zum Wasserfall, der schäumend und funkelnd von einer begrünten Wand fünfzehn Meter
    tief in ein Becken herabstürzt und sich über mehrere Stromschnellen in den See ergießt. Eine moosige Oase ist das hier oben, eine Grotte, aus der es überall heraustropft, mit weitem, freiem Blick durch die flirrende Luft bis zum Gegenufer des Lough Gill. Auf seinem glatten Spiegel da unten dümpelt ein einsam gleitender Schwan dahin in der heute heißen Mittagssonne, die ihm nichts anhaben kann, so gut gekühlt, wie sein Gefieder von unten ist.
    Auf der Fahrt weiter hinein in Yeats Country dann das zerklüftete, schründige Panorama der Dartry Mountains, und ein erster Blick auf den Benbulben - »seinen« Berg. Eine steinerne Riesentafel ist das, mit der Abplattung oben an die weltbekannte Silhouette des südafrikanischen Kapgebirges erinnernd. Eine gewaltige, von der Sonne rötlich bestrahlte Felswarze, von der man sich leicht vorstellen kann, wie sich an ihr seit Urzeiten die Phantasie der Menschen entzündet hat. Allen voran die William Butler Yeats, durch dessen dichterisches Werk die Geister der Region irrlichtern und raunen, der mir mit seinem bebrillten Gelehrtenkopf immer als Irlands vornehmster Poet erschienen ist und dessen Grab ich hier auf dem Friedhof von Drumcliffe suche und finde.
    Es ist überraschend schlicht, fast möchte man sagen, primitiv, steingesäumt, und versehen mit der ebenso stolzen wie mystischen Inschrift: » Wirf einen kalten Blick, o Reiter, auf Leben, auf Tod - und reite weiter.« W. B. Yeats 1865-1939, George Yeats (seine Frau) 1892-1968.
    Einige Besucher bleiben vor dem unscheinbaren Grab stehen, andere gehen achtlos vorbei. Aus hohen Bäumen sticht mit zwei Pylonen der Turm der Church of St. Columbia hervor. Drinnen, neben der Kanzel, ist eine Tafel angebracht: Zur Erinnerung an Reverend John Yeats, der hier von 1811 bis zu seinem Tod 1846 Gemeindepfarrer war - des Dichters Urgroßvater. County Sligo war das Stammland der Yeats.
    Das Grab mit dem häßlichen grauen Stein macht den Eindruck, als sei die letzte Ruhestätte des Nobelpreisträgers von 1923 absichtlich unaufwendig gehalten, wie nebenbei errichtet, in demonstrativer Bescheidenheit, um keinen Wallfahrtsort zu schaffen. Dazu der abweisende Spruch.
    Krähen über dem Haupt, hat auch Heinrich Böll vor langer Zeit hier gestanden, zu einer nassen und kalten Jahreszeit, aber mehr noch innerlich fröstelnd angesichts der vieldeutigen Grabinschrift: »Cast a cold Eye - On life, on Death - Horseman pass by!« Sie habe, bekennt Bölls »Irisches Tagebuch«, mit Eisnadeln auf ihn eingestochen, wie an Swifts Grab in Dublins St. Patrick’s Cathedral.
    Mir will scheinen, als wenn die protestantische Dürftigkeit auf dem Friedhof von Drumcliffe ein, wenn nicht falsches, so doch stark reduziertes Imago des William Butler Yeats suggeriert. Da gibt es einen ganz anderen, diesem von Hoch zu Hoch schreitenden Leben weit gemäßeren Platz: Thoor Ballylee bei Gort, County Galway!
     
    Auf der N 66, hinter Loughrea, ein Schild: »Yeats Tower i km«. Rechts ab auf eine schmale asphaltierte Straße, wird er über den Baumwipfeln schon bald sichtbar, der »sturmgeschüttelte Ort«, »the storm beaten place«, ein quadratischer, zinnenbewehrter

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