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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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zum Thema hat mich so beeindruckt, daß ich sie wörtlich notiert habe:
    »Am wahrscheinlichsten ist, daß wenig oder gar nichts vorangehen wird - bis irgend etwas Furchtbares geschieht. Bis ein traveller, ob Seßhafter, ob Nomade, schwer verwundet oder getötet wird. Oder etwas anderes Grauenhaftes geschieht, etwa eine Feuersbrunst, wie sie an diesen Plätzen ohne Strom so leicht durch Kerzen entstehen kann.«
     
    Hinter Dromahair stoße ich wieder auf einen traveller -Platz mit den gleichen, schon so oft gesehenen Bildern: Wohnwagen, die meisten aufgebockt, ohne Räder, andere auf fahrbereiten Reifen; Wäscheleinen, an denen schweres Arbeitszeug hängt, streunende Hunde, Stapel von Scheiten, herumliegende Metallteile. Ein kleiner gelber Lieferwagen lädt Holzkäfige ab, offenbar für Geflügel oder Kaninchen; ein Mann kniet mit ölverschmierten Händen vor einem Motorrad, zerrt an der Kette, läßt sie mit einem Fluch sausen; aus einem der Wagen kommt eine junge Frau mit einem Roller, auf den sie einen kleinen Jungen setzt, während ein älterer Mann versucht, die verbeulte Lenkstange eines Fahrrads geradezubiegen.
    Die Menschen sehen abgerissen aus, arm, stumpf. Ihre Stimmen klingen gedämpft, ihre Bewegungen sind matt. Über der Szene liegt Schwermut. Hier sieht alles nach Daueraufenthalt aus, da die meisten caravans ohne Räder sind. Aber ich entdecke nirgends Toiletten oder Anschlüsse für Wasser, für Strom und Telefon.
    Auf der anderen Straßenseite, ein ganzes Stück zurückgesetzt, glänzt eine Front säuberlicher Reihenhäuser herüber, eine Nachbarschaft, wie man sie sich gegensätzlicher nicht vorstellen kann.
    Ich bleibe nicht lange, weil jeder, der anders handelt, vor allem wenn sein Auto ein fremdes Kennzeichen hat, sofort in den
    Verdacht gerät, die travellers wie die Insassen eines exotischen Zoos anzustarren, was nach meinen Beobachtungen Touristen mit gezückter Kamera nur allzuoft tun.
    Meine erste Begegnung mit travellers, irgendwo in Donegal, liegt jetzt 25 Jahre zurück. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ratlos ich war, als ich auf den Pferdefuhrwerken Menschen erblickte, die sehr wohl anders aussahen, und auch an mein Staunen darüber, daß es sich nicht um »Zigeuner« handelte. Daß sie nicht »dazugehörten«, daß sie geächtet waren und sich danach benahmen, war mir von allem Anfang an klar. Das Thema hat mich seither nie verlassen, was sich auch in meinen Irlandfilmen dokumentiert.
    Heute, ein Vierteljahrhundert später und in weit größerer Kenntnis über die anhaltende Problematik als damals, stellen sich mir bei Begegnungen wie der vor Ropefield und dieser hinter Dromahair zwei Hauptfragen.
    Wer sagt, das Leben der travellers sei schäbig, hat recht. Sie sind ständig bedroht, starren vor Schmutz und Elend, sind ewig auf der Flucht und zeigen ein gehetztes Gesicht. Ihre Gemeinschaft ist ausgeschlossen von den selbstverständlichen zivilisatorischen Errungenschaften unseres Zeitalters, und diesen Ausschluß haben die meisten ihrer Angehörigen verinnerlicht. Unter solchen Bedingungen konnte keine »Kultur« entstehen, jedenfalls nicht im Sinn der kreativen Kraft, die dem Begriff innewohnt. Insofern haben meiner Meinung nach kritische Stimmen, wie die der zitierten Journalistin im »Irish Independent«, recht. Die Emanzipation der travellers von der eigenen Geschichte kann deshalb nur in der Aufhebung der Umstände bestehen, die ihr Leben bis heute prägen. Dabei könnte die soziale Integration durchaus bedeuten, daß das Eigenleben der travellers an Bedeutung verliert oder sogar aufhört. Eine Chance, sagen die einen, eine Gefahr, die anderen.
    Werden sich soziale Integration und weiter erwünschte Traditionen glücklich mischen, wird es friedvolle und tolerante Lösungen geben? Das ist die eine Frage.
    Und die andere?
    Alle Zeichen deuten daraufhin, daß die Ablehnung von travellers »aus dem Bauch heraus« kein Einzelfall ist, vielmehr tritt sie allen Beobachtungen nach überall auf, wo die Gesellschaft mit ihnen in Berührung kommt. Sie ist laut, sie ist gewaltbereit - und sie verstört mich.
    Denn all die freundlichen, humanen Züge der Iren sind von mir gerade so erlebt worden, wie ich sie schildere, und keineswegs Selbsttäuschung oder gar das Zeugnis einer schauspielerisch genialen Nation.
    Aber gerade aus ihren Reihen kommen Skeptiker, die meinen, mit der Nächstenliebe sei es hierzulande nicht sehr weit her und ein Rassen- und Fremdenproblem wie in anderen

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