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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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verläuft sich die Straße, die hierherführt, in ein geheimnisvolles Grün, und wenn ich mich umdrehe, wieder dem tower zu, sehe ich nur sein unverwüstliches Fundament - nach oben ist alles durch Blattwerk verdeckt.
    Da sitze ich an diesem Sommernachmittag vor Thoor Ballylee, Yeats Tower, und bin dankbar für die Stunde, die das zuläßt. Sie ist eingefügt in ein Leben, das mir gestattet hat, in großer Freiheit, ohne Zensur, zu veröffentlichen, was immer ich geschrieben oder gesprochen habe, ein unerhörtes Privileg, ja, eine Gunst des Schicksals. Sie macht die Schatten meiner Biographie in Vergangenheit und Gegenwart nicht vergessen, treibt sie nicht aus, ist aber eine Kraft, die über die Bürden gesiegt hat.
     

Everything is so beautiful here
     
    Am Ufer des Lough Sheelin ist Johnny B. mit schwerem Baugeschütz aufgefahren.
    Da drüben überm Weg sind Bulldozer und Betonmischmaschinen am Werk, Geräte, die einen solchen Höllenlärm verursachen, daß in Mallard Point das eigene Wort nicht zu verstehen ist, es sei denn, Johnny B. selbst spricht es - und das tut er jetzt.
    Die Hosen weiß bekleckst, wie immer in dem Jumper von undefinierbarer Farbe steckend und bei seinen Lachgewittern ungeniert den einzigen Zahnstummel bleckend, dröhnt er mir den Zweck des Radaus ins Ohr: Es gehe um das Fundament des Bootshauses »for my friend Aivar«, das müsse gelegt werden, und seine Leute und er seien nun dabei. Dann tritt er ans Telefon, wählt, erwischt »Aivar« am anderen Ende in Hamburg auch, brüllt, daß die Wände bersten wollen, horcht in die Muschel, lacht und endet mit »Okay«.
    Dann verkündet Johnny, daß er ein wichtiges Werkzeug vergessen habe, es nun holen werde, von zu Hause, und ich ihn begleiten solle: Ich müsse doch endlich seine Familie kennenlernen, etwas außerhalb von Mount Nugent.
    Widerstand zu leisten oder wichtige Arbeit vorzuschieben wäre sinnlos. Also finde ich mich auf dem Beifahrersitz eines ungeheuren Trucks mit Johnny am Steuer wieder, die Ohren in der Kabine bald wie betäubt, während Johnny mir irgend etwas klarzumachen versucht. Da nicht nur seine Lautstärke, sondern auch sein harter irischer Dialekt mir Verständnisschwierigkeiten bereitet, dauert es eine Weile, bis ich begriffen habe, worum es geht. Johnny lädt mich zum Auftritt einer berühmten Band ein, die bald in Oldcastles renommiertem Pub »Ceili Bar« spielen wird und die ich, so behauptet er, mein Lebtag nicht vergessen würde - dort würden einige der bekanntesten irischen Musiker auftreten.
    Selbst wenn ich nicht bereit gewesen wäre, darauf einzugehen (was nicht der Fall ist), Johnny fragt gar nicht erst nach meiner Zustimmung, sondern kutschiert, dauernd nach links und rechts grüßend, donnernd durch das winzige Mount Nugent. Fünf Minuten später hält er an und lädt mich aus.
    Über Schlaglöcher hinweg, die alle mir bisher bekannten Weguntiefen übertreffen, erblicke ich vor einem giftgrünen Wellblechschuppen eine Phalanx schlammbesudelter Gummistiefel verschiedener Größen; daneben einen Trecker, der aussieht, als wäre er schon auf Napoleons Marsch nach Moskau ausrangiert worden, und neben ihm ein funktionsunfähiges Raupenfahrzeug, das bereits Vorjahren aus Mangel an Benzin verdurstet sein muß.
    Unterdessen ist Johnny mit rudernden Armen im Wohnhaus verschwunden, wohin ich ihm folge. Ich stehe in der Küche und schaue durch eine Tür in den Anbau, wo eine Unmenge Matratzen und Bettzeug herumliegt, unverkennbar die Schlafstätte der Familie.
    In den Betten liegen mehrere Personen, von denen ich nur Schöpfe erkennen kann, so vermummt liegen sie da, während hier in einer Ecke der Küche ein Radio mit großer Phonstärke plärrt, in einer anderen ein alter Fernseher läuft und auf einem großen Tisch in malerischer Anordnung eine Säge, gekochte Kartoffeln, Zeitungen und aufgeschnittene Milchbeutel herumliegen. Da ich im Schlafraum fünf Köpfe gezählt habe und in der Küche zwei Jungen und zwei Mädchen zwischen dreizehn und siebzehn Jahren stehen oder sitzen, hat sich ein beträchtlicher Teil der Familie um mich versammelt. Freundliche Gesichter, »hello!«, mir wird ein Apfel gereicht. »O« und »a«, als Johnny berichtet, ich schriebe ein Buch, Zutraulichkeiten, wie ich sie gern habe und erwidere.
    Zwischen allem aber, an den Tisch gelehnt, in einem roten Pullover und einer lila Hose, fröhlich lachend und mit einer Haut, so glatt und schier wie die eines jungen Mädchens, der ruhende Pol des

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