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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Flächen, Hecken, grasendes Vieh. Tief unten der Fluß, um meinen Kopf, schwirrend, Insekten. Baumwipfel um den Turm, gleich hoch wie seine Zinnen, einige Kronen noch höher.
    »I climbe to the tower top and lean upon broken stone...«
    William Butler Yeats hier oben, auf die Brüstung gelehnt und in die Landschaft schauend.
    Man kann sich keinen Platz vorstellen, der ihn hätte stärker inspirieren können als dieser. Hier hat er den Gedichtzyklus »The Tower« verfaßt, den Unabhängigkeitskampf als Nationalist gegen England erlebt, anschließend innerlich zerrissen die Phase des Bürgerkriegs durchgestanden und danach friedvolle Zeiten mit seiner Frau George, Tochter Anne und Sohn William Michael verbracht.
    Zu diesem Zweck ließ er, wie 1916 angekündigt, im bäuerlichen Haus (»the peasant’s cottage«) Küche, Bad, Wohnzimmer und Schlafräume einrichten mitsamt allen erforderlichen Bedarfsgegenständen (»the necessities«), um freie Hand zu haben für sein Reich (»to devote the castle to a couple of great rooms«).
    Doch dann, nach den ersten Jahren, werden die Abstände zwischen den Aufenthalten in Thoor Ballylee immer größer, die Besuchsintervalle proportional zu Yeats steigendem Ruhm immer seltener. Er wird 1922 Senator, kriegt ein Jahr später, noch vor George Bernard Shaw, den Nobelpreis für Literatur und sieht sich mehr und mehr beansprucht durch die Leitung des Abbey Theatre. Nach 1928 hat Yeats Thoor Ballylee nicht wieder aufgesucht. Der Tod von Lady Gregory im Jahr 1932 riß ein letztes Glied der Verbindung weg.
    Ein riesiges Œuvre in Lyrik, Dramen und Prosa hinterlassend, stirbt William Butler Yeats, fast 74, am 28. Januar 1939 in Roque-brune an der französischen Riviera. Neunjahre später, 1948, wird sein Sarg in die Erde von Drumcliffe gesenkt.
    Gemessen an einem langen Leben, macht sich die Periode von Thoor Ballylee in Yeats Dasein zeitlich eher bescheiden aus.
    Und doch war der tower , der seinen Namen trägt, mehr auf ihn zugeschnitten als alle anderen Daseinsstätten. Hier, im Schatten des Benbulben, hat Yeats sich seine Mythologie geschaffen, hat sich sein Genius entfaltet, hat er sich verewigt - »to be carved on a stone at Thoor Ballylee«, wie er antizipiert hatte.
    Und so geschah es.
    Ich muß mich auf die Zehenspitzen stellen, um die verblaßte Gravur einer Tafel an der Turmwand zu entziffern:
 
    »I the poet William Yeats
    with old millboards and
    sea-green slates
    and smithy work from
    the Gort forge
    Restored this tower
    For my wife George.
    And may these characters remain
     When all is ruin once again«
 
    Ich, der Dichter William Butler Yeats,
    habe mit Pappkarton und
    meergrünem Schiefer
    und Eisenteilen aus der
    Schmiede von Gort
    diesen Turm wiederhergestellt
    für meine Frau George.
    Und mögen diese Dinge bestehen,
    wenn alles andere wieder Ruine ist
      
    Der darin wohl für viel spätere Zeiten von ihm beschworene Verfall trat früh ein. Nach 1928 hat Yeats Thoor Ballylee nie wieder aufgesucht, Turm und Cottage verfielen. Fotos aus den vierziger und fünfziger Jahren zeigen die Gebäude in einem bejammernswerten Zustand. Bis 1961 die Kiltartan Society, unterstützt von Bord Failte und Ireland West Tourism, die Restaurierung von Thoor Ballylee übernahm. George Yeats hat das noch erlebt, sie starb 1968.
    Der heutige Zustand des wiederhergestellten Thoor Ballylee entspricht dem von 1926, aber das gilt nur für das castle , nicht für die cottage. Sie hat keine Ähnlichkeit mehr mit ihrer ursprünglichen Funktion als geräumiger Spiel- und Tummelplatz für die Kinder und als Wohnung der Familie gegenüber dem repräsentativen Habitus des tower. Die cottage ist umgebaut worden zu einem Besucherzentrum mit all dem üblichen Touristenkitsch, Fotozubehör, CD-ROMs, mit Büchern, die keinerlei Beziehung zum Sinn des Ortes haben, und mit Zeitschriften, auf die das noch weit mehr zutrifft.
    Nach außen hin aber hat sich an der natürlichen Gewachsenheit des gesamten Komplexes und seiner Umgebung nichts geändert.
    Ich setze mich im Garten gegenüber an einen der hölzernen Tische, deren Hocker mit dem Fuß fest in den Boden eingelassen sind - hier ist es schattig. Ich sehe mich um.
    Eine kleine Brücke führt über einen Nebenarm des River Ballylee, es plätschert sanft, gluckert, gurgelt. Nach vorn fällt der Blick über eine verwetzte Mauer auf eine sonnendurchleuchtete Landschaft, die weit hinten von den Umrissen der Slieve Aughty Mountains begrenzt wird; seitwärts

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