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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Turmklotz, dessen mittelalterliche Wehrhaftigkeit auch durch die sichtlich später eingelassenen Fenster nicht beschädigt werden konnte.
    Errichtet worden ist die Feste im 13. und 14. Jahrhundert von dem mächtigen Normannenclan der de Burgos, die von ihrer Höhe viele Generationen lang Ausschau gehalten haben nach Feinden, Freunden und Gästen, ehe die antikatholischen Strafgesetze, die Penal Laws , im 17. und 18. Jahrhundert auch dieser längst in Burkes umbenannten, aber katholisch gebliebenen Dynastie die letzten Reste ihrer einstigen Macht nahmen.
    Der Autor zahlreicher Dramen, darunter »The Countess Cathleen« und »Cathleen ni Houlihan«, der große Anreger der neuen irischen Literatur in englischer Sprache und weltberühmte Lyriker, William Butler Yeats, stand zum erstenmal 1896 vor dem alten Turm. Auf der Suche nach einem eigenen Sommerdomizil, erkannte er auf Anhieb, daß das castle sein Rückzugsort werden würde, Stätte der Inspiration, die seinem Hang zu Sagen, Märchen und irischer Mythologie in idealer Weise entgegenkommen würde. Bewegt von den vielen Geschichten um den einsamen Platz, entzückte ihn besonders jene, daß »zwischen den Mühlrädern von Ballylee alle Übel kuriert werden«.
    Das Zusammentreffen war um so glücklicher, als ganz in der Nähe, in Coole Park, Lady Gregory lebte, Mittelpunkt der nationalen Kulturszene und Yeats in enger Freundschaft verbunden.
    Beide zählen 1898 zu den Gründern des berühmten Abbey Theatre, der Dubliner Nationalbühne, auf der die wichtigsten Premieren der Zeit stattfanden und deren langjähriger Leiter Yeats werden sollte.
    Nachdem es ihn immer wieder während der Besuche bei Lady Gregory zu dem verwunschenen Platz in der Nähe hingezogen hatte, kauft Yeats Anfang 1916 den Turm und die cottage daneben für ganze 35 Pfund. Dann schreibt er im November jenes Jahres über seine Umbaupläne enthusiastisch an eine Freundin: »Ich plane, den Gegensatz zwischen der mittelalterlichen Burg und der bäuerlichen Behausung aufrechtzuerhalten. Während sich in ihr alles Erforderliche befindet, kann ich der Burg für wenig Geld ein großzügiges Raumensemble widmen.«
    1917 wird mit der Renovierung des völlig heruntergekommenen Anwesens begonnen. George Yeats, geborene Hyde-Lees, die er im Oktober jenes Jahres geheiratet hat, sieht ihn mit dem Architekten William A. Scott Tage und Wochen über den Zeichnungen brüten.
    Mit der Wahl des castle als repräsentativem Sitz folgt Yeats bewußt den Traditionen einer kultivierten Aristokratie, die er beneidete, der er sich aber durch den Adel des Geistes immer als ebenbürtig empfand.
    An eine Freundin, gleichsam als Wappenherr: »Was glaubst Du, was denkst Du über die Adresse >Thoor Ballylee    Und ein anderes Mal, emphatisch: »Everything is so beautiful here.«
    Sehr wahr - auch heute noch ist »hier alles so schön«.
    Im Parterre, dem dining-room, bläuliches Glas, schönes Geschirr, das Fenster offen. Ganz in der Nähe, vor dem Turm, sprudelt der River Ballylee über braunem Grund, fließt hinter einer kleinen Schnelle rascher ab und verliert erst unter einer dreibögigen Brücke sein Blinken und Glitzern.
    Ich steige den Turm hoch, auf Treppen, wie poliert von der Zeit und von ungezählten Schritten, eine blaue Kordel als Geländer, Schlitze in der Mauer, durch die grell die Sonne fällt.
    Im ersten Stock das Studio, Yeats Arbeitszimmer, höher das Schlafzimmer. Ein einfaches Holzbett, Waschschüssel, Spiegel. Geöffnete Fenster, die Vorhänge bewegen sich, der Kamin hoch und rechteckig.
    Weiter aufwärts habe ich den Eindruck, als wenn die Treppen immer schmalbrüstiger werden. Unter Übergewicht können die Burgherren seinerzeit kaum gelitten haben - gut vorstellbar, wie korpulente Leute sich hier keuchend durchquetschten, wenn »Alarm, Alarm!« geschrien wurde.
    Yeats Dichterauge hat die Verteidiger die engen Stufen hinauflaufen sehen: »Rauhe Männer in Waffen, kreuzgegürtet bis zu den Knien und in Eisen gehüllt« - »to the battlements« - »zur Brustwehr hoch«!
    Und dann ist sie erklommen, die Plattform, zinnenbewehrt, sonnengewärmt, rings umgeben von bukolischem Frieden.
    Im Osten die Höhenzüge der Slieve Aughty Mountains, die Landschaft dorthin hügelig, gewellt; grüne

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