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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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aufspringen, sich in kunstvollen Schritten drehen und rasch wieder auf ihre Plätze zurückeilen. Unter den Tänzern auch Johnny, ein Bär von Kerl, unerwartet behende und plötzlich seine Frau im Arm, die schwebt, als sei sie eine Elfe und nicht gestandene Mutter von zehn Kindern - ein wunderbares Bild.
    Es wird Guinness ausgeschenkt, in Strömen, und das seit Stunden schon. Aber niemand ist betrunken, keine Spur davon. Da lehnen sie am Billardtisch, Zigarette in der Hand oder im Mund, unbeeindruckt, wenn ihnen der Rauch in die Nase zieht.
    Überall Kinder, die Beleuchtung milde. Hinter der Theke eine junge Frau mit Pagenschnitt, die unentwegt Gläser füllt. Das Geschäft floriert, auch heute abend, wie alles, was Michael Lynch anfaßt und betreibt.
    »Ceili Bar« - das ist der Austragungsort musikalischer Wettbewerbe auf nationalem Niveau, ein Treffpunkt besonderer Art, prominent durch seinen Besitzer und von gediegener Herkunft.
    Ich stehle mich hinter die Frontscheibe des Pubs und ziehe den Vorhang zur Seite. Alte Gläser; eine in Holz gefaßte Flasche, 1710, Smith Wick’s, ausgestorbene Biermarke; Whiskeyflaschen von Power & Son, längst ohne Inhalt; Gartenzwerge (wie kommen die hierher?); güldene Pappbehälter, alt, Vorstufe der Blechdosen.
    Drinnen rings an den Wänden Fotos: »Oldcastle Intermediate Champions 1987«, »St. Baigids Junior Champion 1994«, darunter die Namen der Sieger, Lynch, Reillys, MacEnroe - Gaelic football, Heiligtümer!
    Inzwischen hat sich der Kapelle ein Mann zugesellt, der mit zwei Löffeln in einer Hand den Takt schlägt, ein scharfes, metallisches Geräusch. Das geschieht so blitzschnell, daß es schwer ist, hinter die Methode zu kommen. Er hält die beiden Löffel in der Linken, streicht sie durch die rechte, auf dem Oberschenkel ruhende Handfläche und erzeugt so mit unglaublicher Geschicklichkeit rhythmische Trillergeräusche, die haargenau zu Takt und Melodie passen.
    Während Michael Lynch die überdimensionale Baßgeige wieder gegen das Saxophon getauscht hat, bemächtigen sich nun Gäste der verschiedenen Instrumente. Einer hat das Akkordeon ergriffen, ein anderer sich ans Klavier gesetzt, auf die Tasten einhämmernd, ein dritter sich der Trommel bemächtigt - all das in Übereinstimmung mit den Lynch-Geschwistern, die bewundernd daneben stehen und in die Hände klatschen.
    Die Stimmung wird ausgelassen, der Rahmen der Irish country songs gesprengt, international Bekanntes aufgespielt: »Rose of the Barrel«, »Yellow River«, die Soundtrack-Ohrwürmer aus dem Film »Dr. Schiwago«, schließlich Wiener Melodien. Ich will es nicht glauben - Straußsche Kompositionen in einem irischen Pub, wenn auch einem der prominentesten des Landes. All das wird schnarrend, klirrend und völlig fehlerfrei von dem Löffelmann begleitet, der außer den Händen und dem taktschlagenden linken Fuß mit steifem Körper und der unbewegten Miene eines Buster Keaton dasitzt.
    Johnny und seine Frau singen mit, wobei sie noch Zeit finden, mich ihrer unverbrüchlichen Freundschaft zu versichern, obwohl ich keinen Tropfen Guinness trinke, sondern Ginger Beer und Schweppes.
    Trotzdem brummt mir der Schädel, ich gehe vor die Tür des Pubs. Es regnet aus dem Nachthimmel über Oldcastle, die gegenüberliegende Wand ist grell beleuchtet, die nassen Fäden ziehen stramm herunter, und im Hintergrund sticht, wie eine Theaterkulisse, der spitze Turm einer Kirche hoch.
    Mitternacht ist vorbei, aber drinnen laufen noch die Kinder herum, darunter ein fünfjähriges Mädchen, das Haar hinten mit einem dicken roten Wollknoten zusammengerafft.
    Auf dem Billardtisch liegen leere Gläser, leere Flaschen, Jacken, eine einsame weiße Kugel und ein offener Kasten mit einer Klarinette.
    Nach der greift Michael Lynch jetzt und gibt den Ton an -gegen ein Uhr früh klingen altirische Weisen durch die »Ceili Bar«, gefühlvoll, weich, melancholisch. Die Gesichter nehmen einen anderen Ausdruck an, wenn die Melodie betont getragen ausklingt. Danach Jubel, Applaus, Aufschreie.
    Johnny beugt sich zu mir herüber, bleckt seinen einzigen Zahn und brüllt mir ins Ohr: »Michael hat sich das selbst beigebracht, er spielt die Instrumente seit seiner Kindheit, da gibt es keines, das er nicht kann, keines.«
    Just in diesem Moment, als wollte er Johnnys ungehörtes Lob bestätigen, legt Michael Lynch die Klarinette zurück, setzt sich ans Klavier und gibt mit der Pianistin ein Duett. Er, die Schwester um Haupteslänge überragend,

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