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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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getrübt durch die Zeitungslektüre.
    In der Presse wird ausführlich der Fall eines Vaters behandelt, der jede seiner fünf Töchter in ihrer Kindheit und ersten Jugendzeit über Jahre hin sexuell mißbraucht hat. Dabei glaubte jede von ihnen, sie sei die einzige Mißbrauchte, so konspirativ ging der Vater vor. Das Schweigen der Töchter vor seiner Frau erkaufte er sich mit der Drohung: Wenn die Mutter davon erführe, wäre das ihr Tod.
    Der Horror saß so tief, daß sie darüber erst jetzt, als Erwachsene, sprechen können. Unter großen seelischen Qualen haben sie sich zusammengetan und endlich den Vater angeklagt - um der Gerechtigkeit willen und um an den furchtbaren, unvergeßlichen Erfahrungen mit dem eigenen Erzeuger nicht zugrunde gehen zu müssen.
    Die Reaktion der Justiz auf die Ungeheuerlichkeit des überwältigend dargelegten Tatbefundes kann nur als schamlos bezeichnet werden: Ohne seine Gründe zu nennen, lehnte der Generalstaatsanwalt der Republik Irland den Strafantrag gegen den Vater ab.
    Dessen einzige Reaktion bestand in der Erklärung: Er werde seinen guten Namen mit allen legalen Mitteln verteidigen. Dabei kann er anonym bleiben - solange gegen ihn nicht offiziell ermittelt wird, darf sein Name bei Strafe nicht genannt werden.
    Von der Ablehnung ihres Strafantrags erfuhren die Töchter aber nicht durch den Generalstaatsanwalt, sondern durch die Polizei. Darauf faßten die Frauen ihren Schmerz und ihr Leid in fünf Sätze, die sich lesen wie die Prosa einer klassischen Gesamtanklage gegen solche Täter und ihre Beschützer in der Justiz: »Wenn es Verhöre durch das Gericht gab - uns ist nichts darüber mitgeteilt worden. Auch könnten wir nicht sagen, welche Anwälte uns dabei vor Gericht vertraten, denn weder haben wir sie gesehen, noch kennen wir ihre Namen. So, wie die Sache ausging, sind wir die Verlierer. Aber das will nicht in unseren Kopf. Denn daß der Täter nicht verurteilt wurde, bedeutet auch, daß wir niemals zur Ruhe kommen werden.«
    Alle Versuche, dem Generalstaatsanwalt die Gründe seiner Ermittlungsverweigerung zu entlocken, parierte der mit der Behauptung: Damit würde er seine Unabhängigkeit verlieren.
    Fazit: Nicht nur, daß den Opfern Gerechtigkeit vorenthalten wird, es wird ihnen auch nicht gesagt, warum das so ist.
    Auf die gleiche Weise werden zahlreiche Fälle von Vergewaltigung, auch in der Ehe, und sexuellem Vergehen an Kindern abgeschmettert, selbst wenn ein ärztliches Attest vorliegt.
    Das einzig Erfreuliche an dieser todtraurigen Justizfarce: Die Wellen in der liberalen Öffentlichkeit schlagen hoch, weil die wahren Gründe der gehäuften Ermitdungsverweigerungen auch ohne das Eingeständnis ihrer Verursacher allgemein bekannt sind - opportunistische Anpassung des Justizapparats an eine politische und klerikale Bigotterie, die sich nicht gegen das Delikt, sondern gegen seine Aufdeckung empört.
    Dergleichen brächte mich überall in Rage. Warum aber tut es das so besonders heftig in Irland?
     

The Shaskeen Band on tour
     
    Die »Ceili Bar« ist rammelvoll, als ich gegen 22 Uhr 30 in Oldcastle eintreffe, und Johnny B. dort bereits groß in Fahrt.
    Mit Schlips und Kragen und in seinem besten Anzug wie verkleidet wirkend, hebt er das - wievielte? - Glas Stout zum
    Willkommen in die Höhe und weist, als seien sie seine Schöpfung, mit dem Ausdruck schrankenlosen Stolzes auf die Musikanten. Am Klavier eine Frau, ein Akkordeonspieler auf einem Hocker, daneben ein Schlagzeuger und am Saxophon - der Maestro: sechzig, Besitzer des in ganz Irland berühmten Pubs, Politiker, Künstler, Geschäftsmann, als Senator in Dublin langjähriges Regierungsmitglied, in Oldcastle geboren und eine nationale Legende schon zu Lebzeiten - Michael Lynch!
    Er ist schlank, groß, trägt eine Brille und Lackschuhe, hat am Hinterkopf eine kleine kahle Stelle und steht etwas gekrümmt auf, als er jetzt das Saxophon beiseite legt, eine gewaltige Baßgeige an sich zieht und mächtig in die Saiten greift - tönend und tief, die Würze des Orchesters. Der Akkordeonspieler - eine karierte Jacke mit dunklem Schopf; der Schlagzeuger - rote Wangen über schwarzen Hosen; die Pianistin - aus wadenlangem Kleid ein Jugendstilkopf auf dem geschwungensten Hals der Welt. Und alle vier, mit Michael, Geschwister: »The Shaskeen Band on tour!«
    In der »Ceili Bar« dröhnt, klingt, rauscht es nur so - Irish country songs at its best.
    An Tischen und Wänden, Kopf an Kopf, Zuhörer, die mitsummen, mitsingen,

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