Mein irisches Tagebuch
England die roten Eichhörnchen fast völlig ausgestorben waren.
Nota bene und bei dieser Gelegenheit: Es fehlt auf der Insel eine ganze Reihe kontinentaler Gattungen. In der Eiszeit waren alle Tiere und Pflanzen eingegangen. Als es dann wärmer wurde, die Gletscher schmolzen, kam vom Festland her zwar eine neue Fauna und Flora, aber nur so lange, bis der steigende Meeresspiegel Irland zur Insel machte. Für etliche Arten zu früh - es gibt hier keine Schlangen, auch Maulwürfe nicht. Von den 150 Säugetiergattungen auf dem europäischen Festland sind in Irland nur 27 heimisch geworden.
Eine Lösung des Problems da draußen auf dem Rasen vor der großen Panoramascheibe bringt diese evolutionäre Erkenntnis jedoch leider nicht. Das größere der beiden Grauhörnchen hat sich wieder akrobatisch an dem Stützbalken hochgehangelt, sich eines der prallen Vogelfutternetze bemächtigt, es aufgerissen und den Inhalt in Kürze fast vollständig aufgefressen. Was dabei herunterfällt, nimmt das andere Tier auf, und als die Zufuhr von oben stoppt, versucht es seinerseits, hinaufzuklimmen. Dabei vollführt es, Kopf nach oben, Kopf nach unten, wahre turnerische Kunststückchen, doch reicht die Courage nur bis zur Hälfte des Aufstiegs, oben gebietet das andere Graufell, und der schwache Konkurrenzversuch fällt in sich zusammen.
Schließlich satter Abgang beider - den Schwanz waagerecht von sich gestreckt, wenn sie laufen, aber das Büschel in dekorativer Biegung an den Rücken geschmiegt, wenn sie verharren. So verschwinden sie unter der riesigen kanadischen Tanne zum Nachbargrundstück.
Am Ausgang der Bucht zum See ist unterdessen die Schwanenfamilie aufgetaucht, die Alten nun für sich, aber die Jungen immer noch in ihrer Nähe und eng beieinander, gleichsam ein Schritt zur Selbständigkeit bei wachem Risikoinstinkt. In der Zwischenzeit sichtbar gewachsen, ist ihr Gefieder nach wie vor von unansehnlicher Farbe, als sollte Häßlichkeit Feinde abstoßen. Quicklebendig, tauchen sie die Schnäbel ins Wasser, schütteln sich, paddeln aufgeregt hin und her und geraten, wenn eines von den vieren zu weit abkommt, ganz rasch wieder zu dem einheitlichen Knäuel, das die Alten keine Sekunde aus den Augen läßt. An der kindlichen Abhängigkeit vom Ruhepol der schlankhalsigen Eltern hat sich bisher offenbar nichts geändert.
Die innere und äußere Abnabelung der Jungschwäne werde ich hier nicht mehr erleben.
Am Nachmittag geht es noch einmal zum Angeln auf den See hinaus, mit Martin, dem Vater von sechs Kindern, das siebte unterwegs - in zwei Wochen soll es soweit sein.
Wie letztesmal in grünen Gummistiefeln, schwarzer Hose und einem roten Pulli, setzt er sich hinten ans Steuer des Außenbordmotors und lenkt das Boot aufs offene Wasser.
So tuckern wir hinaus.
Die Westhälfte des Lough Sheelin ist in Schatten getaucht, die andere wird golden bestrahlt, wie die Büsche und Bäume am Ufer.
Ich habe, wie Martin auch, eine kurze Angel ausgeworfen und lasse Leine ab. Auf dem ruhigen Wasser geistern Insekten, es glitzert und funkelt über dem See, und da steigt rechts von uns, steil wie ein Flugzeug und flügelschlagend, eine Wildente auf. Plötzlich wölbt ein Regenbogen seinen schillernden Halbkreis von Ufer zu Ufer, wie ein gigantischer Fächer steht er über dem See, verliert sich unterwegs in Wolkengeschwadern und prahlt, wo seine Farben wieder auftauchen, mit irisierender Leuchtkraft.
Hier unten ist es so gut wie windstill, droben aber ziehen helle und dunkle Schleier mit hoher Geschwindigkeit dahin.
An Martins Angel hat zuweilen etwas gezogen, aber Fische waren es nicht. Er sitzt am Heck mit seinem großen, offenen Gesicht, ein freundlicher, grundgütiger Mann, der unter dem mangelnden Fangglück sowenig leidet wie ich - es ist einfach schön, auf dem See zu treiben. Gerade, weil es warm ist, wahrscheinlich der bisher wärmste Tag des Jahres überhaupt.
Das Licht changiert, hell und dunkel, die Wolken werfen Schattengebilde auf das Wasser. Kurz hinter dem östlichen Ufersaum ein Haus mit gelber Front, gesäumt von riesigen Rhododendronbüschen, aus dem Kamin Rauch; niedrig über uns zwei Fischreiher mit hörbar starken Flügelschlägen; der nasse Spiegel ringsum glatt wie eine Haut, über die man streicheln möchte. Außer unserem Boot kein anderes weit und breit, Martin und ich die einzigen Menschen auf der Welt. Der Rapalla, der künstliche Fisch, blinkt dümpelnd unter der Oberfläche.
Aber die Angel habe ich
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