Mein irisches Tagebuch
die weite Fläche übersät davon, verwunderlich und eindrucksvoll.
Ich vergehe mich an staatlichem oder vielleicht auch privatem Eigentum und lade fünf bereits ziemlich gedörrte Torfbriketts in meinen Wagen für den heimischen Kamin.
Dann geht es von Collinstown an den Lough Lene. Lieblich liegt der See da, eingerahmt von sanften Hügeln, eine der vielen
Gletscherdellen aus der Eiszeit. Krähen in der Luft, auf dem Wasser kein Boot, Waldinseln. Hier, wie auch am Lough Owel oder Lough Derravaragh, hat vor Tausenden von Jahren der frostige Hobel angesetzt, hat die weiße Schneide tief gegraben und auf dem Rückzug Irlands Märchenseen hinterlassen.
Auf dem Rückweg an der Straße ein toter Dachs, ein großes Tier, ohne äußere Verletzungen, und doch ein Opfer des Verkehrs. Kein seltener Anblick in diesem Land, überfahrene Tiere, wenn auch nicht oft solche großen wie dieses, das noch im Tode seine wilde Schönheit bewahrt hat.
In Mount Nugent haucht die Zündung des Wagens ihr Funkenleben just in dem Moment aus, als ich die Reparaturwerkstatt von Mr. Smith passiere. Der grüßt schon herüber, ölbefleckt und einen großen Schlüssel in der Hand. Mit dem hantiert er unter der geöffneten Haube, findet die wunde Stelle sofort, gibt mir ein Zeichen - und schon springt der Motor wieder an. Salär? Keines! Mr. Smith winkt energisch ab, Freundschaftsdienst, gern getan.
Vor vierzehn Tagen war der Wagen für eine größere Reparatur am Auspuff hier einen vollen Tag gewesen - für ganze fünf Pfund, umgerechnet etwa zwölf Mark. Da mag man nur mit Wehmut an so manche Faktura denken, die von deutschen Werkstätten ausgestellt worden ist.
Jetzt lasse ich den Wagen auf Mr. Smith’s Einladung gleich auch waschen, in einer Anlage, deren Rost den Gedanken, ihr könnte Wasser entströmen, absurd erscheinen läßt, die dann aber doch, und sogar heiß, funktioniert.
Da steht er nun, mein alter Ford, und wird von seinem Dreck befreit. Bis heute hat er, Überschläge ich, bei meinen Buchreisen in Israel, Ostpreußen und Irland insgesamt an die 40 000 Kilometer zurückgelegt, eine Strecke also einmal rund um die Erde, und zwar dort, wo sie am umfangreichsten ist. Und mag man es mir glauben oder nicht: Ungeachtet mancher Beulen und einiger verschämter, von außen jedoch nicht erkennbarer Roststellen, sieht mein motorischer Untersatz fast noch so neu und unversehrt aus wie bei seinem Kauf im Jahr 1982.
Nun meinerseits verschämt, gestehe ich gegenüber der alten Kiste (wie ich alle meine Autos, auch die nobleren, zu nennen pflege) Empfindungen ein, wie sie betagten Reitersmännern gegenüber ihren langjährigen Pferdegefährten nachgesagt zu werden pflegen, wobei dann oft die Rede vom »Gnadenbrot« ist. Das läßt sich gewiß auf die »eisernen Pferde« nicht so ohne weiteres übertragen, aber meinen alten Ford auf irgendeiner Abladehalde einfach vergammeln zu lassen, das kann ich mir auch nicht vorstellen.
Wieder in Mallard Point unter dem Kirschbaum, entdecke ich vom Liegestuhl aus im Schein der Abendsonne, daß die Brust der schwirrenden, flitzenden Schwalben bunt ist, ockerfarben mit einem Stich ins Rötliche. Aber das ist nur zu erkennen, wenn die phantastischen Luftsegler in einem bestimmten Winkel zur Sonne fliegen, von Nord nach Süd, und auch nicht länger als eine Sekunde lang.
Allmählich leert sich der Himmel, werden die schwarzen huschenden Schatten da oben weniger, verlassen sie das fahle Blau des Übergangs vom Tag zur Dämmerung und suchen ihre Nester auf.
Mallard Point hat zwei davon, eines unter dem Seitenfirst, das andere unter der Dachrinne neben dem hinteren Hauseingang.
Mein irisches Tagebuch VI
25. Mai.
Heute morgen am Vogelhäuschen das alte Drama mit neuer Besetzung.
Ungeheures Krähenkonzert ab sechs Uhr früh. Ein Blick hinaus: Die gravitätischen Schwarzfedern picken in Scharen die Reste des Vogelfutters auf, das die räuberischen Eichhörnchen hinterlassen haben, während Blaumeisen und Rotkehlchen sich droben an den aufgehängten Futternetzen gütlich tun, so lange es eben geht.
Da tauchen sie auch schon wieder auf, schimmernd in ihrem prachtvollen Silberfell, von einem Augenblick zum anderen die Szene beherrschend. Noch bevor sie hochgeklettert sind, stiebt und flattert es oben davon.
Was tun - hinauslaufen und die Eichhörnchen verscheuchen?
Ihre graue Gattung ist, wie ich inzwischen gelesen habe, erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Irland gekommen, nachdem hier wie in
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