Mein irisches Tagebuch
sie mit betörendem Hals neben ihm, beide mit kunstfertiger Gewandtheit in die Tasten greifend, eine irische Geschwistereinheit, die alsbald vervollkommnet wird durch die beiden anderen Brüder an Schlagzeug und Akkordeon.
Erst jetzt bemerke ich die an das Klavier gelehnte Krücke - sie gehört dem Ziehharmonikaspieler, mit zwanzig das jüngste der vier Geschwister.
Der Pub ist verraucht, die Theke besetzt und Johnny mit dauergeblecktem Zahn in Hochstimmung - den Arm um die Hüfte seiner Frau gelegt, sind sie das jugendlichste Paar hier weit und breit.
Gegen drei Uhr früh löst die Mutter der Fünfjährigen den roten Wollknoten und dreht das Haar der Tochter zu einem Zopf. Der Fernseher blieb die ganzen Stunden ausgeschaltet.
Gegen fünf Uhr früh, bei Tageshelle, liege ich endlich im Bett, unfähig einzuschlafen, weil das Nachtkonzert der irischen Lieder in meinem Kopf einfach nicht ausklingen will.
Aber der Schlaf hätte ohnehin nicht lange gedauert.
Es ist sechs Uhr, als erst vom Seeufer her der Motor des Bulldozers aufbrüllt, dann, nach einigen vergeblichen, aber phonhaltigen Startversuchen, die Betonmischmaschine röhrend anläuft, über allem aber schließlich ein Organ triumphiert, dessen grelle, berstende Akustik nur einem ausgeschlafenen Körper entströmen kann, tatsächlich aber jenem Johnny B. gehört, der mit mir vor einer Stunde, und nach wohl gut zwanzig Gläsern Stout, aus der »Ceili Bar« ins augenschmerzende Morgenlicht getreten war.
Längst vorbei die geographischen Irritationen
Fahrt um den Lough Sheelin.
Ich fühle mich in einer tiefvertrauten Landschaft mit tiefvertrauten Orten:
Mount Nugent - gleich hinter der Brücke rechts der geräumige Kramladen mit dem dennoch spärlichen Angebot, den immer schrumpeligen Äpfeln, den vertrockneten Zwiebeln, dem ganzen anarchischen Sortiment von Mash Mallows über Kitschpostkarten bis zu schweren Rasenmähern und der überwältigend freundlichen Bedienung: Familiensache, Mutter, Tochter, Sohn, alle langaufgeschossen, immer lächelnd, undevot, auf die sympathischste Weise unprofessionell.
Ballyjamesduff und das alte »Percy French Hotel« dort.
Das langgestreckte Kilnaleck, erste Etappe auf der Fahrt nach Cavan, Zentrum des gleichnamigen County, mit einer Ahnung von der nahen Grenze zu Nordirland.
Und Oldcastle, wo es nicht nur die »Ceili Bar« gibt, sondern auch Eamon D. und seinen Elektroladen - ein Anruf, gleich zu welcher Stunde, und bald schon knirschen die Reifen seines Wagens auf dem Kies von Mallard Point.
Jetzt, auf der Nordseite des Lough Sheelin, vor Ballymachugh, badet das Land förmlich im flutenden Mittagslicht, fühle ich mich wohl, zugehörig, kenne ich die Wege, die Pfade, das Labyrinth der steinernen Zäune. Längst vorbei die geographischen Irritationen des Anfangs und seiner Beklemmung: Findest du das versteckte Mallard Point je wieder, wenn du von Granard, vom Lough Gowna oder von Kells zurückkehrst?
Die schöne Selbstverständlichkeit, mit der ich längst durchs Land kutschiere, in guter Kenntnis der Region zwischen Crosserlough und Ross, Kilcogy und Castletown; die immer neue Erwartung auf der R 154 vor dem Hinweisschild »Crover Lodge - Lough Sheelin«: Wann taucht es auf, das schöne weiße Haus mit den braunen Fensterrahmen, den Stechpalmen und den beiden Gipshunden am Eingang als stumme Torwächter? Wann blinkt rechts zum erstenmal der Spiegel des Sees auf? Wann kommt der Abschnitt, durch den man fährt wie durch einen grünen Tunnel?
Nun vorbei am Ostufer auf die Südseite des Lough Sheelin, nach Finea, bei bedecktem Himmel, aber trotzdem hellem Licht, und weiter in Richtung Castlepollard.
Auf der Hälfte der Strecke steige ich aus - rechts und links der Straße Moor, Sumpf. Obwohl das Gras hoch ist, sackt man sofort ein, wenn man drauf tritt. Ich verlagere mein Gewicht auf ein Bein, und da will es einen gurgelnd tiefer saugen. Dabei sieht die Decke so friedlich aus mit ihren einladend im Wind nickenden roten, gelben und weißen Blumenköpfchen.
Etwas weiter eines dieser Torffelder, maschinell bearbeitet und bis an den Horizont gestreckt: Tausende, Zehntausende von braunen Rechtecken, in Viererreihen nebeneinander, eine große Zahl von ihnen frisch gestochen, mit glänzender Oberfläche, andere trockener, schon braun und dunkelbraun. Ganze Tagewerke, die früher viele Menschen verrichteten, schafft heute eine Maschine in sechzig Minuten.
Auch hier wieder die Stapel abgepackter bunter Plastiksäcke,
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