Mein irisches Tagebuch
weiteres in der Böll Cottage hätte übernachten können, war eine innere Barriere nicht zu überwinden, weshalb ich mich im nahen »Slievemore Hotel« einquartierte. Das allerdings hatte ich ab ein Uhr früh heftig zu bereuen, denn von da an bellte über Stunden hin ein Hund, der dem Grollen und Donnern nach die Größe eines ausgewachsenen Bernhardiners haben mußte.
Um so verblüffter war ich dann, als ich gegen Morgengrauen grellwach in dem Kläffköter einen Winzling seiner Gattung erkennen mußte, fast schoßhündchenhaft, aber trotzdem nicht zu unterschätzen. Denn sowie er mich hinter der Gardine entdeckte, stellte er sich auf die spärlich befellten Hinterbeine, eine Pose, die ihn zwar auch nicht imponierender machte, auf jeden
Fall aber die Phonstärke seines Beilpotentials noch erheblich anschwellen ließ. Doch da war ohnehin nichts mehr zu retten.
Vor dem Abschied von Achill Island aber noch einmal zur Böll Cottage.
Wieder alles offen, wieder niemand sonst da, wieder ein Gang durch die Räume.
In einem Zimmer vor dem Bücherbord ein blauer Liegestuhl, in einem anderen, mit zwei Betten, Fußbälle,gelb, weiß, blau, rot und schwarz. In diesem Raum auch der einzig offene Kamin. Bei meinem Gang notiere ich: ein Fahrrad, ein langer Holztisch, auf dem gebügelt werden kann, darauf ein Messer. Die Heizung kalt. Ein Paytelefon, das keinen Laut von sich gibt, der Kühlschrank leer, aber unter Strom. Ein Glasschrank mit blauem Geschirr. Boiler, Teller, Tassen, Bestecke, ein vierflammiger Gasherd, alles da. Hier könnten ganze Familien wohnen.
Reminiszenzen, Gedanken, Überlegungen.
Ich bin Heinrich Böll zum erstenmal im Urgebäude des Westdeutschen Rundfunks am Wallrafplatz begegnet, Anfang der sechziger Jahre, damals noch von Hamburg aus, bei einem Interview für eine NDR-Fernsehsendung über das schwierige Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Böll nahm dabei den prinzipienfesten, aber unprovokanten Standpunkt ein, den ich von ihm kannte und mit ihm teilte.
Die nächste Zusammenkunft kam 1970 zustande, als er sich meine WDR-Fernsehdokumentation »Hunger - Herausforderung auf Leben und Tod« zeigen ließ. Die Sendung war zwei Jahre zuvor ausgestrahlt worden, aber er hatte sie nicht gesehen und wollte das nun nachholen. Danach trafen wir uns bei verschiedenen Anlässen immer wieder. Gesprochen werden brauchte dabei nicht viel, da es doch nur daraufhinausgelaufen wäre, daß der eine den anderen mit der gleichen Grundgesinnung agitiert hätte.
Das letzte Mal sah ich Heinrich Böll Anfang 1985, seinem Todesjahr, im Rodenkirchener Haus eines gemeinsamen Freundes. Eine Notiz von jenem Abend über meine Eindrücke: »Weltbürger und zugleich Kölner, durch und durch, unverblümt gottesfürchtig, ein Kenner der Kirche und ihrer Sünden, Lexikon für den »Kölner Klüngel«, Insider, aber nicht integrierbar oder -willig- Vor allem und ganz vorn: ein Humorist von großem Ernst.«
Meine kürzeste Charakteristik heute würde lauten: »Ein Mensch der bedächtigen Rede, mit einer unverwechselbaren Modulation der Stimme, von der ich nie, in all der Zeit, auch nur ein einziges leeres Wort vernommen habe - kein einziges.«
Gerade so ergeht es mir mit dem, was ich von Heinrich Böll gelesen habe, also nahezu alles von ihm Gedruckte. Ich kenne niemanden sonst, bei dem das so vollständig zutrifft.
Auch bei hoher, ja höchster Übereinstimmung im Elementaren können sich Differenzen ergeben, die verschiedene Wege und Möglichkeiten zu dem erstrebten Ziel offen und abweichende Meinungen erkennen lassen. Nicht so bei Heinrich Böll, obschon ich danach gefahndet habe, weil mir solche lichtdichte Kongruenz unheimlich war und ist. Ihre Vollständigkeit empfinde ich jedoch als eine Bereicherung meines Lebens, sie ist mir teuer und kostbar, und ich weiß, daß sie nicht enttäuscht werden kann.
Es ist Heinrich Böll vorgeworfen worden, ich habe solche Stimmen selbst gehört, sein »Irisches Tagebuch« habe ein Irlandbild gezeichnet, wie die Deutschen es sich wünschten, er solle sich später auch selbst in diesem Sinn geäußert haben. Unterstellt, daß das stimmt, kann es an meiner Bewertung eines Buches, das über ein Irland vor vierzig Jahren geschrieben wurde, nichts ändern - in seiner Zärtlichkeit und seiner Ergründungstiefe bleibt es ein zeitloses Werk.
Unkritisch, wie oft behauptet, ist es keineswegs. Das wird häufig übersehen von denen, die nicht bereit sind, eine von
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