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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Verständnis, Zugehörigkeit, ja Liebe ummantelte Kritik anzuerkennen. Ich habe da analoge Erfahrungen mit meinem in den gleichen Mantel gehüllten Verhältnis zu Israel und den Reaktionen darauf. Allesverneiner wie Allesbejaher können bezeichnenderweise mit solcher Position nichts anfangen.
    Klar, daß ein Buch über das Irland der neunziger Jahre anders sein muß als eines aus den fünfzigern. Kein Land in Europa, behaupte ich, hat sich in der seither verflossenen Zeit mehr gewandelt als Irland.
    Kürzlich sah ich noch einmal eine Mitte der sechziger Jahre hergestellte TV-Dokumentation des Westdeutschen Rundfunks aus der alten Serie »Der Dichter und seine Stadt«: »Dublin und James Joyce«. Der Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Bild der irischen Hauptstadt wollte mir kaum mehr meßbar erscheinen. Was hat die lebenssprühende, menschenwimmelnde, geschäftsdynamische und kulturell aus allen Nähten platzende Metropole der Republik Irland von heute noch zu tun mit dem verschlafenen Provinznest, das da auf dem Schirm erschien mit seiner Straßenöde, den schlecht angezogenen Passanten, der ganzen sichtbaren und riechbaren Rückständigkeit eines Landes immer noch am Rand des alten Kontinents? Wenn ich die persönlichen Eindrücke meiner ersten Aufenthalte in Irland vergleiche mit dem jetzigen, dann kann ich nur sagen: Ich muß auf einem anderen Planeten sein als damals!
    Wer heute durch die Republik fährt (ich habe insgesamt 15 000 Kilometer in ihr zurückgelegt), der kann nach der äußeren Erscheinung eher den Eindruck haben, er durchquere ein Land von erklecklichem Wohlstand. Überall sind neue Häuser gebaut oder alte restauriert worden, oft genug von zweifelhaftem Geschmack und allem kleinbürgerlichen Dekorum, Gartenzwerge eingeschlossen. Aber selbst wenn der Kreditrahmen bis zum äußersten ausgereizt sein sollte, mit dem Cottage-Image von einst bis tief hinein in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts hat das Irland unserer Tage nichts mehr gemein.
    Und geschaffen hat all das die Einbindung Irlands in »Europa«, seit seinem Eintritt 1973 in die EWG, heute EU, und das ist großartig.
    Bölls Irland hatte etwas von der Unschuld der Rückständigkeit an sich - die, in der Tat, ist ihm inzwischen gründlich genommen.
    Richtig, daß man überall auf Eigenschaften stößt, die gern und nicht zu Unrecht als irische bezeichnet werden und von denen auf diesen Seiten immer wieder erzählt wird. Und dennoch sind die Warnungen ernst zu nehmen, daß die Iren in den letzten zwanzig Jahren zunehmend materialistischer geworden sind, unverbindlicher untereinander und geldorientierter, und daß die Kriminalität dabei ist, ihre städtischen Grenzen zu sprengen und sich bis in die letzten Schlupfwinkel auf dem Land auszubreiten. Dazu kann nicht bestritten werden, daß die elektronischen Medien, allen voran das Fernsehen, auch in Irland dabei sind, das immer noch dichte Sozialgeflecht der Gesellschaft zugunsten wachsender Isolierung bestürzend erfolgreich aufzulösen; daß eine immer noch weit höhere Arbeitslosenquote als auf dem Kontinent das Problem Nummer eins bleibt, und daß die Auswanderung sich zwar reduziert hat, aber nicht gestoppt wurde.
    Wahr ist, daß die große Wettermaschine Atlantik in Irland eine Luftreinheit zaubert, von der wir nur träumen können, aber auch, daß das Grundwasser gefährdet ist und viele Seen ebenso.
    Ja, ich furchte den Einzug der Moderne und ihre einebnende Technokraft und habe gleichzeitig doch großes Vertrauen in die Beständigkeit des irischen Volkscharakters, mag es an den Rändern auch Einbußen geben. Je tiefer ich in mich hineinhorche, je länger ich in diesem Land bin, desto sicherer werde ich, daß die Rede von etwas Unzerstörbarem ist. Das ist das Grundgefühl, seit ich vor 25 Jahren zum erstenmal nach Irland kam, aber nie war es so stark wie diesmal.
    Auf meinen Reisen durch die Welt hat es lange Strecken gegeben, auf denen mich die Begegnung mit Menschlichkeit erstaunte, weil sie das Untypische war. In Irland dagegen habe ich mich an sie wie in keinem anderen Land als das Typische gewöhnt.
    Warum hat sich gerade ein so grausam behandeltes Volk wie das irische soviel Sensibilität erhalten? Soviel Bereitschaft, zuzuhören, sich mitzuteilen, Rat zu geben, unverwüstlich Humor zu wahren?
    Meine Suche nach dem Schlüssel dafür endet regelmäßig bei der Erkenntnis: Eben weil die Geschichte die Iren so grausam behandelt hat, haben sie daraus den

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