Mein irisches Tagebuch
der nasse Himmel eingesogen wird, so, wie ich den Regen oft in mich hineingeschlürft habe und dabei, wie schön, triefnaß geworden bin.
Ich liebe die Wüste, ich habe das geschildert in meinem Buch ’Israel, um Himmels willen, Israel’. Aber ich liebe auch ihr Gegenteil: Irland.
Und es ist sein Regen, der es dazu macht.«
Von der Clew Bay bis zur »Dramaturgie der bösen Tat«
Auf dem Atlantik Drive nach Cloghmore.
Rechts immer das Panorama der Ashleam Bay, schraubt sich die Straße höher und höher, eine richtige Bergtour, bis sich, von der Paßhöhe her gut sichtbar, weit südwestlich aus dem Atlantik die Zacken der Bill Rocks und die nördliche Breitseite von Clare Island erheben.
Dann wieder hinunter, durch Cloghmore hindurch und weiter auf dem Weg nach Derreen.
Rechts der Straße nach Norden erst eine Burg, Carrickkildavnet Castle, lese ich auf der Karte, dann ein Friedhof, Kildownet Cemetery, geschlossen. Und nun sehe ich den Stein, auf dem steht: »Of your charity pray for the souls of...« Es folgen, ich zähle, 32 Namen, »who were accidentally drowned in Clew Bay on 14th ofjune 1894«. Das Mal ist auf der linken Seite des Kil-downet-Friedhofs errichtet, ein einzelner Stein auf einer großen Fläche, dahinter der Achill Sound, und drüben, über 500 Meter hoch, der Corraun Hill.
Es nieselt.
Was war hier geschehen? Warum waren 32 Menschen ertrunken, was waren die näheren Umstände ihres Todes, über die hier so wortkarg Auskunft gegeben wird?
Also zurück nach Cloghmore. Dort entdecke ich in der Nähe einer Fischverarbeitungsfabrik eine Plakette, deren Inschrift übersetzt lautet: »Zur Erinnerung an die 32 Opfer, die in der Clew Bay ertranken. Errichtet am 14. Juni 1994.«
Was mich auch nicht klüger macht.
So spreche ich den ersten Menschen an, der mir begegnet, eine Frau von etwa 55 Jahren, die den Rasen vor einem Haus sprengt und mir bereitwillig, mit der ganzen Freundlichkeit der Menschen hier, Auskunft gibt.
1894, also vor etwas mehr als hundert Jahren, hat sich das Unglück ereignet an der Küste vor Westport. Leute aus dem Inneren des Landes waren es, die auswandern wollten, auf der Fahrt nach Schottland, in zwei Fischerbooten, sogenannten hookers. Ganz jung waren sie, einige erst zwölf Jahre alt, und da sie zuvor nie die See gesehen hatten oder große Schiffe, eilten sie, als ein Dampfer backbords vorbeizog, alle auf eine Seite. Dadurch kenterten die Boote, wobei die jugendlichen Passagiere unter die Segel gerieten und 32 von ihnen ertranken.
Gerettet wurden nur wenige.
Die Frau, die mir das Drama berichtet, als hätte es sich gestern ereignet, ist in Cloghmore geboren und hat ihr ganzes Leben hier zugebracht. Sie trägt einen grauen Rock und eine braune Wolljacke und sagt nach einer Weile des Schweigens: »Der Tod der jungen Leute stand in Zusammenhang mit der Massenauswanderung. Und die war immer noch eine Folge der Hungersnot.«
Eine persönliche Erinnerung an das Unglück hat sie natürlich nicht, aber die großelterliche Generation, so hat sie behalten, hat oft davon gesprochen, wie übrigens auch vom Great Famine, der eine Auswanderungslawine ausgelöst hat, die immer noch nicht ganz gestoppt ist. »Auch auf Achill Island nicht«, fügt sie an.
Drüben im Osten, weit hinter dem vorgelagerten Achillbeg Island, liegt die Küste der Clew Bay bei Westport, wo die hookers umschlugen.
Beim Abschied sagt die Frau: »Mit der Plakette da hinten an der Fabrik und dem Gedenkstein auf dem Friedhof wollten wir auch bekunden, daß die Hungersnot von damals immer noch in unserer Erinnerung ist.«
Auf Achill Island finden sich noch zwei weitere Zeugen aus der Zeit der Katastrophe und ihrer Folgen.
Der erste, unheimlichere von beiden, liegt ein paar Kilometer westlich der Böll Cottage - das verlassene Dorf, the deserted village. Langgestreckt, eine Front von 800 Metern, liegt es da - eine Ruinenlandschaft. Kein einziges Haus steht mehr ganz, nur noch die Mauern sind erhalten, die Dächer längst eingestürzt. Da heute morgen der Quarz- und Glimmerkegel des Slievemore bis zum Gipfel völlig wolkenfrei ist, bietet die schweigend ausgebreitete Zerstörung an seinem Fuß den Anblick grenzenloser Trostlosigkeit und andauernden Schmerzes.
Wasser war vom Berg reichlich herabgeflossen - ein schmales, zerklüftetes Flußbett teilt den Ort. Wenn es damals Brücken gegeben hat, heute ist davon keine Spur mehr übriggeblieben. Nur die unvermeidlichen Schafe rupfen nach wie vor Irlands
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