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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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der waffenlose Uniformierte höchst unglücklich von einem Fuß auf den anderen tritt und der Juwelier und sein Personal sich verschüchtert in die hinteren Räume zurückgezogen haben.
    Dann St. Stephen’s Green - der Park in der Sonne!
    Hunderte von Menschen liegen auf dem Rasen, bis an den Rand des Sees, die meisten Studentinnen und Studenten, ein Anblick geradezu leuchtender Jugend. Dazwischen spazieren watschelnd und vertrauensvoll Enten, weiße und bunte, schnattern um Futter, plustern sich auf, schlagen mit den Flügeln, alles Freßbare blitzschnell aufpickend.
    Am Parkrand spielt ein Alter auf einem Hammerklavier, das er auf den Knien trägt, spindeldürr, mit wehenden weißen Haaren, die sein Gesicht verdecken und ihm bis auf die Brust reichen. Sein Spiel macht dem martialischen Namen des Instruments -hammering - akustisch alle Ehre, doch niemand beschwert sich.
    Ein Springbrunnen drückt seine Strahlen, ein gutes Dutzend, wie glitzernde Spinnenbeine aus einem Spinnenleib hoch, ehe sich jedes einzelne oben umbiegt und ins Becken zurückfällt.
    Kleine steinerne Brücken, Blumenbeete, wasserbenetzte Idyllen. Gepriesen sei Arthur Guinness, Sproß der großen Brauersippe, der 1880 das neun Hektar große Parkgelände mit seinen Teichen und Gärten herrichten ließ - es hat nichts von seiner Schönheit verloren.
    Am Eingang der Grafton Street singt ein junges Mädchen zur Gitarre, lächelnd, ohne Scheu - klare Stimme, rote, bis in den Rücken fallende Haare. In einiger Entfernung von ihr spielt eine vierköpfige Männerkapelle die Zither-Melodie aus dem berühmten Orson-Welles-Film »Der dritte Mann« - mit zwei Ukulelen, einer Gitarre und einem Baß, an jedem Instrument bunte Luftballons.
    Ich staune über die Unbefangenheit der Menschen, die sich hier ungefragt selbst darstellen. Offenbar befürchtet niemand von ihnen Spott oder irgendeine andere negative Reaktion.
    Voller Energie ist Dublin in seinem Zentrum, quirlig und bunt, nicht wiederzuerkennen, seit ich vor langer Zeit zum letztenmal hier war - welch ein Sprung, welch ein Leben. Nur die Kinder, Dublins verwahrloste Straßenkinder, die gibt es immer noch.
    Auf der O’Connell Street, neben dem »Gresham Hotel«, vor einer heruntergelassenen Jalousie, sitzt ein acht-, neunjähriger Junge, gelbe Jacke mit rotem Kragen, und spielt auf einer Flöte. Das heißt, er piept einfach wahllos Töne vor sich hin und streckt dann bettelnd die Hand aus. Plötzlich tauchen zwei Mädchen und zwei Jungen etwa gleichen Alters auf, zerren an ihm und seiner Flöte, dringen bei »Burger King« ein, holen sich von drinnen für Kunden reservierte Pappkronen, setzen sie draußen auf, zerreißen sie, lärmen. Dann laufen alle fünf wie die Wiesel zwischen den Autos über die Straße und verschwinden neben der Liffey-Nixe in den Keller der Herrentoilette, auch die beiden Mädchen. Rasch kommen sie wieder hervor, nun einen Hund bei sich, der ihnen auf dem Fuße folgt, und rennen weg. Dabei stoßen sie sich, schubsen sich, suchen fortwährend die körperliche Berührung. Ihr Benehmen ist selbstbewußt und ungeniert, klein gebliebene Erwachsene, von denen keiner ein Kindergesicht hat. An der Front eines langgestreckten Kinos vorbei - »Die größte Leinwand Irlands und sein bester Sound« -, flitzen sie hinter dem »Gresham« um die Ecke und sind verschwunden.
    Ich gehe auf die Brücke über die Liffey, eine Überführung, die breiter ist als lang.
    Der Fluß teilt Dublin quer durch in eine nördliche, kommu-nere, und eine südliche, vornehmere Hälfte. Das war einmal anders - von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die georgianischen Häuser am Mountjoy Square und in der Gardiner Street als die besten Adressen gegolten. Als dann aber arme Massen vom Land in die Stadt geströmt waren, hatte der Auszug der Wohlhabenden begonnen. Was immer sich inzwischen daran soziologisch geändert oder erhalten hat - im öffentlichen Bewußtsein gilt die Zweiteilung der irischen Metropole nach wie vor, und die Liffey ist die Trennlinie.
    Ich stehe auf der O’Connell Bridge und schaue nach Osten. Zwischen Bachelors Walk und Aston Quay, ein Stück stromaufwärts, der Metallbogen der eisernen Penny Bridge. Das Flußbett windgestreichelt, die Ufermauern grün, tangbesetzt, der Wasserspiegel jetzt weit unter der oberen Flutmarkierung.
    Beobachtungen am ersten Tag in Dublin.
     

Selbst wenn’s um die Wurst geht -die Iren verlieren den Humor nicht
     
    Duke Street 21, in »Davy

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