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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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führte. In der Flurdecke war eine Klappe mit Ziehleiter eingelassen, die der Fischer mit einem Hakenstock herunterzog.
    Komm, keine Angst.
    Der Bückspeicher hatte ein schmales, von Spinnweben verhangenes Giebelfenster zum Fluss, durch das zu wenig Licht eindrang, um die Ecken aufzuhellen. Es war kalt hier oben, wenn man aus der überheizten Küche kam, aber wenigstens stieg durch den Fußboden ein bisschen Wärme herauf.
    Komm, wiederholte der Fischer.
    Freyas Augen gewöhnten sich an die Dämmerung. Sie hörte, dass sich im Winkel der Dachschräge etwas bewegte, dann sah sie ein Deckenbündel auf einer Matratze.
    Ich verstehe ihn nicht, sagte Dietz. Ich glaube, er heißt Jolo oder so ähnlich. Ich wollte dich da nicht reinziehen, aber der arme Kerl ist krank, er hat Fieber, die Füße sind blutig, was soll ich machen? Ich brauche Jod. Und Aspirin. Oder kennst du einen Arzt, der anständig geblieben ist?
    Das Bündel bewegte sich, und Freya sah Augen.

TAGEBUCH

    In der Aegidiuskirche nachgesehen: Sie haben die Madonna geputzt.
    Wäre interessant zu wissen, wer das heilige Blut abgewaschen hat. Das Waschwasser heimlich aufgefangen und gesammelt? In Fläschchen abgefüllt? Kann man unbedenklich verdünnen, hundert Flaschen aus einer machen und die heiligen Tropfen an Idioten verkaufen. Sie müssen nur genug Angst vor dem Tod haben, dann nehmen sie alles.
    Muss darauf achten, wer so was anbietet.
    Während ich vor ihr stand und sie um Verzeihung dafür bat, dass ich ihr das Schlangenherz anvertraut hatte, hörte ich Maria. Sie sprach nicht zu mir, sie sang!
    Du musst darüber nachdenken, ob es neben der göttlichen Auferstehung auch eine teuflische Auferstehung gibt. Denn wenn die Lernäische Schlange wiederauferstehen kann, muss es eine teuflische Auferstehung geben.
    Das hat sie gesungen.
    Eine gute Frage. Teuflische Auferstehung?
    Aber hat das Böse denn wirklich eine so große Macht, sagte ich leise vor mich hin und sah zu ihr auf.
    Sie schwieg. Sie wollte, dass ich es selbst herausfinde.
    Nur so lässt sich erklären, dass die Hydra mit ihren nachwachsenden Köpfen immer wieder zu mir zurückkommt.
    Ich werde von der Gottesmutter geprüft.
    Ich werde die Prüfung bestehen. Und wenn ich das Biest noch tausend Mal töten müsste.
    Manchmal glaube ich, dass die Straßen in allen Städten der ganzen Welt voll von ihr sind.
    Im Traum sehe ich mich selbst laufen, und außer mir gibt es keine Menschen. Nur die Hydra.
    Sie schnappt nach mir und streckt ihre Schlangenarme aus.
    Ich schlage ihren Kopf ab, ein zweiter Schlag, und sie hat keine Arme mehr. Doch sie wachsen sofort nach. Und ich erwache mit einem schneidenden Schmerz in der Brust.

V

    Der Dornbusch

    SWOBODA MUSSTE STEHEN BLEIBEN und tief durchatmen. Er stützte sich an einen Buchenstamm. Die kühle, hautglatte Rinde fühlte sich gut an, und für einen Augenblick meinte er, die Stärke des Baums zu spüren, die durch die Handfläche auf ihn überging.
    Er schüttelte den Kopf und ließ seine Arme sinken. Noch war er zu vernünftig, um Esoteriker zu werden. Als er den Kopf hob und nach oben sah, traf ihn das Nachmittagslicht, das zwischen den Ästen mit ihren winzigen hellgrünen Blättern herabfiel und die Farben des Waldbodens leuchten ließ. Dort lag noch die tiefe, lockere Schicht des vorjährigen Laubs, in dem seine Wanderschuhe versanken. Seit Tagen getrocknet, verrieten die Blätter durch ihr lautes Rascheln jeden seiner Schritte. In ihrer Farbskala von tiefem Braun, gebrannter Umbra und Vandyckbraun über Caput mortuum, Englischrot, rostiges Kadmiumorange, sattes Krapplackrot und leuchtendes Zinnober bis zum lichten Ocker konnte der Maler alle Variationen dieser Töne wiederentdecken, die in die Geschichte der Kunst aufgenommen worden waren: von den Felsmalereien der Chauvet-Höhle im Ardèche-Tal bis zu Francis Bacons Drei Studien für eine Kreuzigung , die Swoboda neidlos bewunderte.
    Der Boden im Laubwald begeisterte ihn jedes Frühjahr, wenn sich im Kontrast zu den toten Blättern das neue Grün an den Zweigen entwickelte, das für ihn das Grün der Kindheit war, eine Farbe, deren Zartheit man spürte, ohne die Triebe berühren zu müssen.
    Seit Wochen war er auf Lichtsuche, lief abseits der markierten Wege durch den Mahrwald, studierte die Veränderung vom Winter zum Frühling, als könne er aus dem Übergang von harter Klarheit zu weichem Leuchten den Wechsel von Erstarrung zu Aufbruch, von Schwere zu Leichtigkeit, von Tod zu Auferstehung

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