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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Schlange ist unbesiegbar.

    Die Angst gießt Blei in meinen Kopf.
    Ich befreie mich von ihr, ich gehe aufrecht durch die Stadt, die nicht weiß, wer ihr Retter ist. Sie weiß nicht, dass ich als Einziger mit offenen Augen das Böse ansehen kann, ohne blind zu werden.
    Mein blitzendes Schwert kreist über mir, es ist das Schwert der Wahrheit, unerbittlich, unbestechlich, ich höre es in der Luft singen: Mein ist der Tod.

XI

    Der Tunnel

    ALS DER ZUG BEI FOLKESTONE in den Kanaltunnel einfuhr, schloss Aminata Mboge die Augen.
    Um zehn Uhr hatte sie auf dem Bahnhof London St. Pancras eingecheckt und bei Le Pain Quotidien hastig Croissant und Milchkaffe gefrühstückt. Vier Minuten später als planmäßig, um zehn Uhr neunundzwanzig, war der Eurostar nach Paris gestartet. Sie mochte die Vorstellung nicht, unter dem Ärmelkanal durch eine kleine Röhre zu fahren, vierzig Meter Fels und sechzig Meter Wasser über sich, aber sie hatte sich diese Reise von der Redaktion erkämpft, und ihre Angst vorm Fliegen war stärker als die vor dem Tunnel.
    Ihr Redaktionsleiter Tyler Linney, ein Mittdreißiger, promovierter Kunstgeschichtler und schwul, war nicht überzeugt, dass es sinnvoll wäre, im eigenen Nachrichtenmagazin der international verbreiteten Meldung über den sogenannten Ötzi von der Nelda nachzugehen, auch wenn es sich dabei um einen Afrikaner, vielleicht sogar um einen Tirailleur Senegalais handelte, von dem keiner wusste, wie er in diese Kleinstadt geraten und warum er dort erschlagen worden war. Aber er ließ seiner jüngsten Redakteurin im Kulturressort ihre Marotte. Er schätzte ihre offene Argumentation in den Planungskonferenzen und ihre angenehme Erscheinung.
    Als sie sich vorgestellt und behauptet hatte, sie sei eigentlich schwarz, hatte er ihre Geschichte als Märchen abgetan. Nach der Unterzeichnung des Probevertrags waren sie in eine Bar gegangen, Aminata hatte ihm von ihrer Jugend in Gambia erzählt und auf welchen Wegen sie zum Studium nach London gekommen war. Er sprach sie auf ihre rotblonden, schulterlangen Korkenzieherlocken an, und sie wollte ihn nach seiner Rassentheorie fragen, entschied sich dann aber, lachend zu antworten: Alles Natur.
    Jetzt gehörte sie fest zur Redaktion und hatte ihm verschwiegen, weshalb sie die Reise unternahm. Ein unbestimmtes Gefühl ließ sie vermuten, es könne sich bei dem Toten um Yoro Mboge handeln. Bisher gab es keinerlei Beleg dafür. Sie nahm die kleine Blechdose aus ihrer Handtasche und umschloss sie mit ihren Fingern. Stumm sprach sie zum weißen Krokodil: Mach, dass es wahr ist.

    Ihre Recherchen besagten, dass in den Unterlagen über das Gefangenenlager Stalag VIII, aus dem die Erkennungsmarke stammte, kein Yoro Mboge zu finden war. Entweder hatte man in den Wirren am Ende des Kriegs die Akten vernachlässigt oder gelungene Fluchten verschwiegen. Die deutsche Zeitgeschichtsforschung hatte sich noch fünfzig Jahre nach Kriegsende so gut wie gar nicht mit den schwarzen Kriegsgefangenen oder den zwangssterilisierten deutschen Negern in den Konzentrationslagern befasst. Es musste erst das neue Jahrtausend anbrechen, bis man zaghaft anfing zu forschen. Aminata hatte afrikanische und französische Quellen benutzt und einen Crashkurs in Deutsch absolviert, um Akten über die Massaker der deutschen Wehrmacht an schwarzen Gefangenen während des Frankreichfeldzugs lesen zu können.
    Tyler Linney hatte davon noch nie gehört und ermahnte sie, sich auf den Ötzi von der Nelda zu konzentrieren und keinen politischen Artikel zu verfassen:
    Mag sein, dass die deutschen Historiker da eine rassistische Blindstelle haben, aber du bist nicht dort, um sie zu belehren, sondern um uns eine spannende Story zu erzählen, okay?
    Sie hatte genickt. Du kannst es ja dann in den Papierkorb werfen.
    Du glaubst doch nicht, dass ich mich mit einer Kollegin anlege, die Kickboxen kann!
    Schwarzer Gürtel!, hatte sie gerufen und ihm eine Kusshand zugeworfen.
    Nach drei Stunden und zwanzig Minuten fuhr der Eurostar im Pariser Gare du Nord ein, Aminata hatte den längsten Teil des Tunnels verschlafen und machte sich in einer Traube anderer Reisender mit ihrem Rollkoffer auf den Weg zum Gare de l’Est, wo der TGV nach Stuttgart abfuhr. Sie lief langsam, um in diesen fünfzehn Minuten wenigstens etwas von Paris zu sehen. Die Redaktion hatte ihr in München einen Leihwagen reserviert und in Zungen ein Zimmer im Hotel Korn . Noch sechs Stunden, und sie würde dort sein. Als sie im TGV saß,

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