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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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wollte. Meine Pflegemutter meinte, ich wäre raus aus dem Teddyalter, und wollte ihn mir wegnehmen. Ich hielt ihn fest.
    Ist das jetzt der Traum?
    Ja, alles, alles Traum, sagte Korell und lief in der Galerie auf und ab, von steigender Unruhe angetrieben. Er klatschte im Vorbeigehen mit der flachen Hand auf den Grafiktisch.
    Es ging hin und her, ich hatte eine erstaunliche Kraft im Traum, und plötzlich riss der Kopf ab, ich hatte den Leib und sie den Kopf. »Sieh, was du gemacht hast«, schrie sie mich an, »jetzt kommt er endlich in den Müll.«
    Er hob die Hand vor den Mund.
    Martina Matt betrachtete sein Gesicht.
    In der Stille, die zwischen ihnen entstand, griff sie nach der Flasche, goss die beiden Gläser voll, stand auf und kam auf ihn zu.
    Korell ließ sich den Rotwein langsam, so, als müsse er nicht schlucken, in die Kehle laufen.
    Die Galeristin beobachtete ihn. Sie ahnte, wie er diesen Nachmittag gern beenden würde, und ihr war nicht ganz klar, ob ihr missfiel, was sie ahnte.
    Und sie hat das im Traum gesagt, ja?
    Ja. Sie hieß Agnes. Agnes Korell. Meine Mama. Nein, Freya ist ja jetzt meine Mutter. Er lachte. Ich habe drei! Sue Dahlke. Agnes Korell. Freya Paintner. Welcher Mann hat schon drei Mütter!
    Eine reicht, sagte Martina. Sie hatte keine Lust, ihm von ihrer zu erzählen, die sich damals, als ihr das Hotel Korn noch gehörte, in den Tod getrunken hatte.

    So habe ich mich in ihn verliebt, schloss Freya Paintner die Geschichte des Soldaten Yoro Mboge ab, den sie, so gut sie konnte, medizinisch versorgt, von seinen Schmerzen befreit, und dessen Nähe sie nach der zweiten Woche so gemocht hatte, dass sie ihn nicht mehr allein lassen wollte.
    Er war voller Angst. Verstehen Sie, Alexander, Sie waren ja ein Kind in dieser Zeit, ich war schon eine Frau, aber die Angst am Ende des Krieges, die hatten die Kinder wie Erwachsene, die Angst hatten wir doch alle?
    Ja. Wir sind in der Angst aufgewachsen, da haben Sie recht. Zwei Generationen. Aber Sie hatten die Liebe gefunden!
    O ja!
    Und wo brachten Sie Ihr Kind zur Welt?
    In Hohenkirchen in Österreich. Meine Eltern hatten da offenbar gute Beziehungen. Die Armen Schwestern vom Herzen Mariae nahmen mich auf, ich konnte in ihrem Konvent arbeiten, niemand fragte. Ich habe dort meinen Sohn geboren, durfte ihn nicht stillen, musste unterschreiben, dass ich ihn den Armen Schwestern übergebe und keine Ansprüche stellen werde. Niemals. So hatte mein Vater es gefordert. Nicht einmal den Namen durfte ich bestimmen. Sie nannten ihn Joseph. Und dann wurde er in ihr Haus für die Waisenkinder gebracht, es gab so viele davon direkt nach dem Krieg, auch Besatzungskinder, ausgesetzt, weil sie Mischlinge waren, wie es hieß, aufgefallen ist er da nicht.
    Ich frage mich, warum Sie ihn später nicht finden konnten. Er musste doch irgendwo registriert sein.
    Freya Paintner lachte. Ach, Alexander, was wissen Sie von diesen Monaten 1945? Falsche Geburtsurkunden haben schon die Nazis den Kindern ausgestellt, die sie entführt haben, durch die Besatzungszonen schwirrten falsche Papiere jeder Art, Pässe, Lebensmittelkarten, Persilscheine, es ist so leicht, eine falsche Ordnung einzurichten, wenn alles in Unordnung ist. Mein Bruder Gernot wollte mir einreden, das Kind sei an Tuberkulose gestorben. Er ist ein notorischer Lügner. Natürlich habe ich nach Joseph gesucht. Aber der Konvent in Hohenkirchen wurde schon 1948 aufgelöst, sie waren wohl zu eng mit den Nazis verbunden. In Salzburg habe ich dann die Oberin ausfindig gemacht, sie schrieb mir, dass ich auf jedes Recht an dem Kind verzichtet hätte. Ich habe die ganze Korrespondenz hier. Ich drohte, alles öffentlich zu machen, was damals passiert ist. Nach einem Jahr endlich gab sie nach. Das Kind Joseph Mboge sei in eine Missionsstation der Armen Schwestern in Ghana verbracht worden. Sie schickte mir sogar eine Adresse. Ich sollte nach dem Buben fragen, den sie Sepp Sarotti nannten. Kurz darauf starb sie. Ich habe erst nach sechs Monaten und drei Bettelbriefen endlich aus Ghana eine Antwort erhalten. Der Junge sei nicht mehr dort, sondern in ein Heim nach Gambia gebracht worden, nach Georgetown. Bis ich herausfand, an wen ich mich da wenden konnte, vergingen wieder Monate. Ich war längst auf der Universität in München.
    Sie stockte. Als Swoboda gekommen war, hatte sie geglaubt, es werde leicht sein, über diese Jahre zu sprechen. Doch mit jedem Satz nahm das Gewicht der Vergangenheit zu.
    Er wechselte das Thema. Haben Sie

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